Der Nutzen der Inflation
von Jan Blaess

Für den Durchschnittsanleger ist die Inflation der ärgste Feind. Ein heute abgegebenes Versprechen, eine bestimmte Summe morgen zu zahlen, kommt einer Einladung gleich, sich in einer inflationären Wirtschaft auszutoben. Hauseigentümer, die sich in den 60er Jahren für 30 Jahre an einen mit 5% verzinsten Hypothekarkredit gebunden hatten, haben von der Inflation profitiert. Ihr Einkommen ist gestiegen, die Rückzahlungsraten für den Hypothekarkredit sind jedoch gleichgeblieben. Auch Unternehmen profitierten in den 60er Jahren. Sie konnten ihre Investoren überzeugen, ihnen Gelder langfristig zu einem festen Zinssatz zur Verfügung zu stellen, was ihnen die Rückzahlung der Kredite zu einem späteren Zeitpunkt in inflationsgeschwächten D-Mark ermöglichte. Von der Inflation schmerzlich getroffen wurden die Anleger, die reale Kaufkrafteinbußen hinnehmen mussten. Für die 4000 Dollar, die sie General Motors durch Kauf einer Anleihe in den 60er Jahren geliehen hatten, hätten sie damals einen Neuwagen bekommen. Zum Fälligkeitstermin der Anleihe in den 90er Jahren wäre mit dem ausbezahlten Kapital lediglich ein Viertel eines neuen Autos erhältlich gewesen. Der "Inflationssteuer" entkommt praktisch kaum eine Anlage.

Investitionen in Unternehmen, die von einem starken Verbrauchermonopol profitieren und einen nominell steigenden Kapitalbedarf zur Weiterführung des Betriebes haben, ziehen in Wirklichkeit einen Nutzen aus den Wirkungen der Inflation. Investieren Sie in diese Unternehmen, und die Inflation wird Sie als Anleger begünstigen. Sie wird Ihr Vermögen vermehren.

Warren Buffett erklärte dieses Phänomen anhand der Firma See´s Candy. Im Jahre 1972 hatte See´s rund 2 Millionen Dollar Gewinn bei einem Netto-Sachanlagevermögen von 8 Millionen Dollar erzielt. (Zu den Sachanlagen zählt Anlagevermögen, wie Fertigungsanlagen und betriebliche Ausrüstungen, im Gegensatz zum immateriellen Anlagevermögen, wie Patenten und Urheberrechten). See´s erwirtschaftete also mit seinen betrieblichen Anlagen und Vorräten nach Abzug sämtlicher Aufwendungen und Steuern einen Nettogewinn von 2 Millionen Dollar. Das heißt, das Unternehmen verzeichnete 25% Gewinn auf sein Netto-Sachanlagevermögen.
Nehmen wir nun an, ein Stahlwerk, das sich in einer schlechteren wirtschaftlichen Situation als See´s befindet, würde bei einem Netto Sachanlagevermögen von 18 Mio. Dollar einen Nettogewinn von 2 Mio. Dollar erwirtschaften. (Hochöfen kosten erheblich mehr als die Rührwerke zur Herstellung von Zuckerwerk.)
Bringen wir nun die Inflation ins Spiel. Im Laufe der nächsten zehn Jahre verdoppeln sich die Preise ebenso wie die Umsatz- und Gewinnziffern. So wird sich der Gewinn unserer beiden Unternehmen auf jeweils 4 Mio. Dollar verdoppeln. Dies lässt sich leicht nachrechnen, denn Sie müssen dazu nur die gleiche Stückzahl zum neuen, durch die Inflation erhöhten Preis verkaufen, den jeder mit seinem neuen, durch die Inflation ebenfalls erhöhten Gehalt auch bezahlen wird.
Da wäre jedoch noch ein Problem. Maschinen und Ausrüstungen nützen sich ab und müssen irgendwann durch neue ersetzt werden. Wenn diese beiden Unternehmen ihre Sachanlagen erneuern, wird das Unternehmen mit einem Netto-Sachanlagevermögen von ursprünglich 8 Mio. Dollar dafür 16 Mio. Dollar aufwenden müssen. Schließlich haben sich nicht nur die Süßwarenpreise, sondern auch die Preise für Maschinen und Ausrüstungen verdoppelt. Der Stahlerzeuger mit seiner Sachanlagenbasis von seinerzeit 18 Mio. Dollar wird für deren Erneuerung hingegen 36 Mio. Dollar einsetzen müssen.
Welches Unternehmen möchten Sie lieber besitzen - See´s mit einem Kostenaufwand von 16 Millionen Dollar oder das Stahlwerk, das zum Aufrechterhalten des laufenden Betriebes 36 Millionen Dollar einsetzen muss?

Halten Sie sich die Vorteile vor Augen, die ein Unternehmen genießt, wenn es seine betrieblichen Anlagen kaum erneuern muss und in der Lage ist, hohe Renditen auf Basis eines geringen Netto-Sachanlagevermögens zu erwirtschaften. Der Aktienmarkt durchschaut diesen wirtschaftlichen Streich, den die Inflation hier spielt, und reagiert darauf, indem er Unternehmen wie See´s ein höheres Kurs-Gewinn-Verhältnis zubilligt als der Stahlindustrie, die ein höheres Netto-Sachanlagevermögen benötigt.
Gewiss wirkt sich die Inflation auf sehr viele Unternehmen nachteilig aus, doch kann sie den Aktionären von Unternehmen, die von einem Verbrauchermonopol profitieren, tatsächlich Vorteile bringen.

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