Die Kunst der erfolgreichen Investition
von Jan Blaess

Weder wir noch die meisten Unternehmensmanager würden auch nur davon träumen, aufgeregt hochrentable Tochtergesellschaften zu verkaufen, weil eine kleine Bewegung beim Diskontsatz der Zentralbank vorausgesagt wurde oder irgendeine Wall-Street-Koryphäe ihre Ansicht über den Markt geändert hat. Warum sollten wir uns dann bei unseren kleineren Aktienanteilen an wundervollen Unternehmen anders verhalten?
Die Kunst der erfolgreichen Investition in Publikumsgesellschaften unterscheidet sich wenig von der Kunst der erfolgreichen Übernahme von Tochtergesellschaften. In beiden Fällen will man einfach nur ein Unternehmen mit ausgezeichneten wirtschaftlichen Perspektiven und einem fähigen, ehrlichen Management zu einem vernünftigen Preis kaufen. Danach muss man nur noch überwachen, ob diese Eigenschaften erhalten bleiben.

Wenn eine Investitionsstrategie dieses Typs richtig umgesetzt wird, führt sie oft dazu, dass der Anwender ein paar Wertpapiere besitzt, die sich gut entwickeln und einen sehr großen Teil seines Portfolios ausmachen. Der Investor würde ein ähnliches Ergebnis erzielen, wenn er eine Strategie verfolge, die z.B. 20% der zukünftigen Einkünfte einer Anzahl herausragender Schul-Fußball-Stars erwirbt. Eine Handvoll von diesen würde es schaffen, Bundesliga-Stars zu werden, und der Anteil des Investors an ihren Einkünften würde bald den Strom seiner Tantiemen dominieren. Vorzuschlagen, dass dieser Investor Teile seiner erfolgreichsten Investitionen verkaufen soll, nur weil sie sich gut entwickelt haben und jetzt sein Portfolio dominieren, wäre so, als würde man dem FC Bayern München vorschlagen, Oliver Kahn zu verkaufen, weil er für das Team so wichtig geworden ist.

Aber wie, werden Sie jetzt fragen, entscheidet man, was "attraktiv" ist? Die meisten Analysten meinen, für die Beantwortung dieser Frage zwischen zwei Ansätzen wählen zu müssen, die gewöhnlich als Gegensätze angesehen werden: "Wert" (Value) und "Wachstum" (Growth). In der Tat sehen viele institutionelle Anleger jede Vermischung dieser beiden Begriffe als eine Art intellektuellen Stilbruch an.
Ich sehe das als unscharfes Denken (worin ich mich, das muss ich gestehen, vor einigen Jahren selbst geübt habe). Meiner Meinung nach sind beide Ansätze untrennbar miteinander verbunden: Wachstum ist immer eine Komponente in der Berechnung des Wertes. Sie bildet eine Variable, deren Wichtigkeit von unbedeutend bis gewaltig reichen und deren Einfluss sowohl negativ als auch positiv sein kann.
Außerdem denke ich, dass der Begriff "Value Investing" eine Tautologie ist. Was ist "Investieren" sonst, wenn nicht der Akt des Suchens nach einem Wert, der zumindest ausreicht, um den bezahlten Betrag zu rechtfertigen? Bewusst mehr für eine Aktie zu bezahlen, als ihren berechneten Wert - in der Hoffnung, dass sie bald für einen noch höheren Preis verkauft werden kann -, sollte Spekulation genannt werden (die weder illegal noch unmoralisch noch - aus meiner Sicht - finanziell nahrhaft ist).

Ob angemessen oder nicht, der Begriff "Value Investing" ist weit verbreitet. Üblicherweise bedeutet es den Kauf von Aktien mit Eigenschaften wie einem niedrigem Kurs-Buchwert-Verhältnis, einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis oder einer hohen Dividendenrendite. Unglücklicherweise sind solche Merkmale, selbst wenn sie in Kombination auftreten, nicht im entferntesten entscheidend dafür, ob ein Investor tatsächlich etwas kauft, das seinen Preis wert ist, und deshalb wirklich gemäß dem Prinzip handelt, Value-orientiert zu investieren. Entsprechend sind die entgegengesetzten Merkmale - hohes Kurs-Buchwert-Verhältnis, hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis und niedrige Dividendenrendite - in keiner Weise unvereinbar mit einem "wertorientierten" Kauf.
In ähnlicher Weise sagt uns das Unternehmenswachstum i.R.d. "Growth Investing" per se wenig über den Wert. Es stimmt, dass Wachstum oft einen positiven Einfluss auf den Wert hat, manchmal sogar einen von spektakulärem Ausmaß. Aber ein solcher Einfluss ist alles andere als gewiss. Wachstum nütz dem Investor nur, wenn das betreffende Unternehmen zu verlockenden zusätzlichen Renditen investieren kann - mit anderen Worten: nur wenn jeder Euro, der für die Finanzierung des Wachstums eingesetzt wird, langfristig zu mehr als einem Euro Marktwert wird. Falls ein niedrig rentierendes Unternehmen zusätzliche Mittel benötigt, schadet Wachstum dem Investor. Der elementare Test für die wirtschaftliche Leistung eines Managements ist das Erreichen einer hohen Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital (ohne übermäßige Verschuldung, Bilanztricks etc.) und nicht das Erreichen eines fortlaufenden Zuwachses beim Gewinn pro Aktie. Versteht es das Management beides miteinander zu verbinden, dann ist das um so besser.

Ich glaube, dass Investoren davon profitieren können, sich auf ihren eigenen wirtschaftlichen Gewinn zu konzentrieren. Um diesen zu berechnen, sollten sie die zugrundeliegenden Gewinne bestimmen, die den Aktien in ihrem Portfolio zuzurechnen sind, und diese aufaddieren. Das Ziel jedes Investors sollte es sein, ein Portfolio zusammenzustellen (im Endeffekt ein "Unternehmen"), das ihm oder ihr in einem Jahrzehnt oder so den höchstmöglichen wirtschaftlich konsolidierten Gewinn bringt. Jedes Geschäft wird mit der Zeit immer wertvoller.
Ein Ansatz dieser Art wird den Investor zwingen, über langfristige Unternehmensaussichten statt über kurzfristige Marktaussichten nachzudenken, eine Sichtweise, die wahrscheinlich die Resultate verbessert. Es ist natürlich wahr, dass die Ergebnistafel für Investitionsentscheidungen langfristig der Kurs ist. Aber Kurse werden durch zukünftige Gewinne bestimmt. Bei Kapitalanlagen muss man genauso wie beim Fußball das Spiel und nicht die Ergebnistafel beobachten, wenn man Punkte auf die Ergebnistafel bringen will.

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