Die Zinsstrukturkurve

Zinsstrukturkurve hört sich ziemlich geheimnisvoll an, ihre Interpretation ist allerdings recht einfach. Die Zinsstrukturkurve verdeutlicht das Verhältnis der kurzfristigen zu den langfristigen Zinssätzen an.

Die kurzfristigen Zinsen sind in der Regel niedriger als die langfristigen, weil der Anleger, der sein Geld über einen längeren Zeitraum ausleiht, dafür eine höhere Rendite (also einen höheren Zinssatz) verlangt. Je länger die Laufzeit der Leihe, umsohöher ist der Zins, den der Entleiher zahlen muß. Der Grund ist in dem höheren Risiko zu sehen. Je länger der Verleiher sein Geld am Kapitalmarkt bindet, umso größer ist das Risiko, daß das ausgeliehene Kapital durch ein unerwartetes Ereignis - insbesondere durch Inflation - an Wert verliert. Und darüber hinaus ist natürlich die wirtschaftliche Situation desjenigen, der sich das Geld leiht, schwieriger anzuschätzen, je länger die Prognose in die Zukunft reicht, weil zum heutigen Zeitpunkt gar nicht alle Risiken abzusehen sind.

Betrachten wir zur Verdeutlichung die Situation in Amerika. Die amerikanische Regierung leiht sich ständig Geld von dem Alegerpublikum. Dies geschieht durch die Ausgabe von kurzfristigen Schatzwechseln (T-Bills), mittel- bis langfristigen Schatzwechseln (T-Notes) und langfristigen Schatzanleihen (T-Bonds). T-Bills haben eine Laufzeit von 3 Monaten, 6 Monaten und einem Jahr. T-Notes werden in 2 bis 10 Jahren fällig, während t-Bonds in 20 bis 30 Jahren auslaufen. T-Bills rentieren mit etwa 4%, T-Notes mit etwa 4% und T-Bonds mit etwa 6%.

Die Zinsstrukturkurve zeigt die Steigung der Zinsen von dreimonatigen T-Bills bis zu 30-jährigen T-Bonds. Diese Kurve ist in normalen Zeiten (siehe linke Grafik) sanft ansteigend, von links unten nach rechts oben. Die Investoren bekommen einen niedrigen Zins, wenn sie Geld für 3 Monate ausleihen, und sie bekommen erheblich mehr, wenn sie 30 Jahre lang ihr Geld binden.
Eine sanft ansteigende Zinsstrukturkurve sagt den Ökonomen (und - noch wichtiger - der Notenbank), daß die Investoren mit wenigen störenden Einflüssen in naher Zukunft und nur leicht steigender Inflation in den nächsten 30 Jahren rechnen.

Wenn die Kurve jedoch drastisch steiler wird, läßt das darauf schließen, daß die Investoren die langfristige Zukunft immer skeptischer Beurteilen und deshalb höhere Zinsen einfordern. Sie wollen höhere Zinssätze als Entschädigung für das Risiko einer 30-jährigen Kapitalbindung.
Die Botschaft einer solchen sehr steil ansteigenden Zinsstrukturkurve könnte sein, daß währendder Laufzeit dieser Kapitalanlage die Inflation möglicherweise über das akzeptable Maß hinaus steigt. Eine solche steile Zinsttrukturkurve signalisiert, daß die Zinsen vielleicht steigen müssen, um das Wirtschaftswachstum abzubremsen und jeden inflationären Druck im Keim zu ersticken.
Bei konjukturellen Überhitzungserscheinungen greift die amerikanische Notenbank Fed (eher und schneller als die europäische) in der Tat zu Zinserhöhungen, wie es z.B. im Jahr 1999 der Fall war.

Ab und zu nun kommt es vor, daß die Fed die kurzfristigen Zinsen so drastisch erhöht, daß sie schneller als die langfristigen steigen. Dieser Prozeß führt zu einem kuriosen Verhalten der Zinsstrukturkurve, daß so weit gehen kann, daß die Kurve praktisch "invertiert", also daß die kurzfristigen Zinssätze höher als die langfristigen sind. Dies kann verhängnisvolle Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Eine neuere Untersuchung der Federal Reserve in New York hatergeben, daß eine inverse Zinsstrukturkurve der präziseste Einzelindikator für eine drohende Rezession ist.

Die Situation vor einer Umkehr der Zinsstruktur ist die, daß die Notenbank schnell die kurzfristigen Zinsen erhöht, um die Konjuktur zu dämpfen und die drohende Inflation zurückzudrängen. An einem gewissen Punkt in diesem Prozeß ist jedoch der Zinsanstieg so steil und, weil er die Nachfrage nach Geschätskrediten, Hypotheken und anderen Kreditformen abwürgt, der Konjunktur so abträglich, daß das Wirtschaftswachstum praktisch zum Erliegen kommt. Jetzt realisieren die Anleiheinvestoren plötzlich, daß mit langsamerem oder sogar ausbleibendem Wachstum das Inflationsproblem schwindet und ihren Investitionen am Anleihemarkt kein Schaden mehr droht. Sie fangen an, Anleihen zu kaufen. Die Anleihekurse ziehen an, die Renditen der lang laufenden Staatspapiere fallen und die Fed erhöht weiter die Zinsen. Mit anderen Worten, die Zinsstrukturkurve dreht sich um.

Umgekehrt ist, wie die Volkswirte anmerken, ein Konjunkturaufschwung in Sicht, wenn die Inversion endet und die Zinsstrukturkurve wieder anzusteigen beginnt. In diesem Stadium des Zyklus sagt eine steiler verlaufende Zinsstrukturkurve keine Inflation, sondern erneutes Wachstum voraus. Die Ökonomensagen auch, daß es bei einer steiler ansteigenden Zinsstrukturkurve höchste Zeit wird, Anleihen zu kaufen.

zurück