Wo
wird man offensichtlich nie aus Schaden klug? An der Börse.
Dabei
ist eigentlich alles schon mal dagewesen: Hausse und Baisse, überzahlte
Erwartungen und dann der ewige Katzenjammer.
Obwohl man diese klassischen Börsengesetze seit Jahrhunderten
kennt, nützt dieses Wissen gar nichts. Immer wieder werden
von den Anlegern die gleichen Fehler gemacht. Wohl deshalb, weil
wir es an der Börse immer wieder auch mit dem gleichen Typ
von Menschen zu tun haben, Menschen, die schnell reich werden wollen,
sich zu früh auf´s glatte Parkett wagten, dabei den Kopf
verlieren und heute im stillen Kämmerlein vor dem Computer
schwitzen und dem Glück hinterher klicken.
Ein alter Börsianer brachte die Erfahrung seines Lebens auf
den Nenner: "Was immer wir auch lernen, an der Börse bleiben
wir Lehrlinge für alle Zeit."
Die
Börse läuft nach ehernen Gesetzen nach auf- oder abwärts,
die Masse aber immer dem Markt ins offene Messer. Die Psychologen
versuchen das Phänomen mit dem freudschen "Verdrängungseffekt"
zu erklären. "Was nicht sein darf, das nicht sein kann."
Theoretiker trösten: "Gewinne und Verluste heben sich
letztlich gegenseitig auf. Was der eine gewinnt, dass verliert eben
der andere." Aber was bekommt man zu Gesicht? Immer nur die
Verlierer, die lautstark klagen. Frei nach Brecht: "Die im
Dunkeln sieht man nicht", jene, die ihr Schäfchen rechtzeitig
ins Trockene zu bringen verstanden haben.
Wer
sich mal die Zeit nimmt und in vergilbten Analen, in den Börsenjahrbüchern
aus dem vorletzten Jahrhundert blättert, wundert sich über
gar nichts mehr. Auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution
im 19. Jahrhundert - dem vielzitierten Dampfeisenbahnzeitalter um
1850 - ging es schon genauso zu wie heute in der modernen Kommunikationsgesellschaft.
In
Paris hatte vor 150 Jahren ein großer Spekulant, Monsieur
Rochette, die Börsianer in Aufregung versetzt. Rochette war
Aktienverkäufer, der auf das Land zog und versuchte, Wertpapiere
von neugegründeten Gesellschaften den Bauern im Kuhstall gegen
Gold zu verkaufen. Das war mühselig, denn die Landleute waren
nicht so leicht zu überzeugen. Die damaligen Aktienkäufer
wollten erst mal was sehen. Nun, Rochette hatte einen blendenden
Einfall. Er kaufte in der Nähe von Paris eine stillgelegte
Fabrik, die einen großen Schornstein hatte. Deren "Belegschaft"
bestand aus 4 Heizern, die Tag und Nacht dafür zusorgen hatten,
dass der Schornstein rauchte. Dann ging Rochette an die Börse
und lies dort geheimnisvoll wissen: "Nehmt doch mal die Kutsche
und fahrt zu der Fabrik, wo Tag und Nacht der Schornstein raucht.
Unter uns, die neue Gesellschaft hat Riesenaufträge aus St.
Petersburg." Das machte Eindruck. Der Aktienabsatz der neugegründeten
Gesellschaft florierte, obwohl dort gar nichts produziert wurde.
Die Pariser Börsianer rissen sich um die neuen Papiere und
versorgten damit auch Freunde und Bekannte. Rochette belohnte die
"Großhändler" mit ansehnlichen Rabatten. Aber
eines Tages war die Kohle für den Ofen aufgebraucht, der Schornstein
rauchte nicht mehr. Die geprellten Börsianer und die Bauern
in der Provinz mussten die Erfahrung machen: "Wo Rauch ist
- da muß nicht immer Feuer sein."
Auch
in der heutigen Zeit wird an den Märkten immer noch Rochette
gespielt:
Die Wiederverkäufer von neuen Aktien, die hochgeschaukelt werden,
sind die Banken und Finanzgesellschaften. Die rauchenden Schornsteine
aber sind jene Aktienanalysten, die dem Publikum das Blaue vom Himmel
versprechen. Die Händler lassen sich in Talkshows befragen,
was man denn kaufen sollte, und da fällt dann der eine oder
andere Name von Unternehmen, deren Manager zur Förderung des
Absatzes ihrer Papiere nicht mit Provisionen geizen. Der Spielverlauf
aber ist immer der gleiche wie vor 150 Jahren. Eines schönen
Tages raucht der Schornstein nicht mehr.
Die
Rochettes im 19.Jahrhundert wurden von der Börse verbannt.
Da brauchte man keine Polizei und keinen Richter. Den Unglücklichen
blieb damals meist nichts anderes übrig, als sich das Leben
zu nehmen. Die Rochettes unserer Tage sonnen sich auf Mallorca.
Eine Prognose kann man heute ziemlich sicher geben: "Die kommen
wieder".
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