Aus Schaden wird man klug?
von Carsten Lexa

Wo wird man offensichtlich nie aus Schaden klug? An der Börse.

Dabei ist eigentlich alles schon mal dagewesen: Hausse und Baisse, überzahlte Erwartungen und dann der ewige Katzenjammer.
Obwohl man diese klassischen Börsengesetze seit Jahrhunderten kennt, nützt dieses Wissen gar nichts. Immer wieder werden von den Anlegern die gleichen Fehler gemacht. Wohl deshalb, weil wir es an der Börse immer wieder auch mit dem gleichen Typ von Menschen zu tun haben, Menschen, die schnell reich werden wollen, sich zu früh auf´s glatte Parkett wagten, dabei den Kopf verlieren und heute im stillen Kämmerlein vor dem Computer schwitzen und dem Glück hinterher klicken.
Ein alter Börsianer brachte die Erfahrung seines Lebens auf den Nenner: "Was immer wir auch lernen, an der Börse bleiben wir Lehrlinge für alle Zeit."

Die Börse läuft nach ehernen Gesetzen nach auf- oder abwärts, die Masse aber immer dem Markt ins offene Messer. Die Psychologen versuchen das Phänomen mit dem freudschen "Verdrängungseffekt" zu erklären. "Was nicht sein darf, das nicht sein kann." Theoretiker trösten: "Gewinne und Verluste heben sich letztlich gegenseitig auf. Was der eine gewinnt, dass verliert eben der andere." Aber was bekommt man zu Gesicht? Immer nur die Verlierer, die lautstark klagen. Frei nach Brecht: "Die im Dunkeln sieht man nicht", jene, die ihr Schäfchen rechtzeitig ins Trockene zu bringen verstanden haben.

Wer sich mal die Zeit nimmt und in vergilbten Analen, in den Börsenjahrbüchern aus dem vorletzten Jahrhundert blättert, wundert sich über gar nichts mehr. Auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert - dem vielzitierten Dampfeisenbahnzeitalter um 1850 - ging es schon genauso zu wie heute in der modernen Kommunikationsgesellschaft.

In Paris hatte vor 150 Jahren ein großer Spekulant, Monsieur Rochette, die Börsianer in Aufregung versetzt. Rochette war Aktienverkäufer, der auf das Land zog und versuchte, Wertpapiere von neugegründeten Gesellschaften den Bauern im Kuhstall gegen Gold zu verkaufen. Das war mühselig, denn die Landleute waren nicht so leicht zu überzeugen. Die damaligen Aktienkäufer wollten erst mal was sehen. Nun, Rochette hatte einen blendenden Einfall. Er kaufte in der Nähe von Paris eine stillgelegte Fabrik, die einen großen Schornstein hatte. Deren "Belegschaft" bestand aus 4 Heizern, die Tag und Nacht dafür zusorgen hatten, dass der Schornstein rauchte. Dann ging Rochette an die Börse und lies dort geheimnisvoll wissen: "Nehmt doch mal die Kutsche und fahrt zu der Fabrik, wo Tag und Nacht der Schornstein raucht. Unter uns, die neue Gesellschaft hat Riesenaufträge aus St. Petersburg." Das machte Eindruck. Der Aktienabsatz der neugegründeten Gesellschaft florierte, obwohl dort gar nichts produziert wurde. Die Pariser Börsianer rissen sich um die neuen Papiere und versorgten damit auch Freunde und Bekannte. Rochette belohnte die "Großhändler" mit ansehnlichen Rabatten. Aber eines Tages war die Kohle für den Ofen aufgebraucht, der Schornstein rauchte nicht mehr. Die geprellten Börsianer und die Bauern in der Provinz mussten die Erfahrung machen: "Wo Rauch ist - da muß nicht immer Feuer sein."

Auch in der heutigen Zeit wird an den Märkten immer noch Rochette gespielt:
Die Wiederverkäufer von neuen Aktien, die hochgeschaukelt werden, sind die Banken und Finanzgesellschaften. Die rauchenden Schornsteine aber sind jene Aktienanalysten, die dem Publikum das Blaue vom Himmel versprechen. Die Händler lassen sich in Talkshows befragen, was man denn kaufen sollte, und da fällt dann der eine oder andere Name von Unternehmen, deren Manager zur Förderung des Absatzes ihrer Papiere nicht mit Provisionen geizen. Der Spielverlauf aber ist immer der gleiche wie vor 150 Jahren. Eines schönen Tages raucht der Schornstein nicht mehr.

Die Rochettes im 19.Jahrhundert wurden von der Börse verbannt. Da brauchte man keine Polizei und keinen Richter. Den Unglücklichen blieb damals meist nichts anderes übrig, als sich das Leben zu nehmen. Die Rochettes unserer Tage sonnen sich auf Mallorca.
Eine Prognose kann man heute ziemlich sicher geben: "Die kommen wieder".

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