Spotlight: „Vaterlandslose Gesellen“
von Carsten Lexa
01.05.2004

„Vaterlandslose Gesellen“ – so titelte der Präsident des Deutschen Bundestages. Bezeichnet wurden damit aber nicht, wie man vorschnell meinen könnte, Mehrstaatler, oder flüchtige Terroristen, sondern deutsche Großkonzerne und Mittelständler. Warum? Weil sie – nach den Worten Thierses, des Bundestagspräsidenten - in Deutschland eine gute wirtschaftliche Infrastruktur verlangen, ihre Betriebs- und Produktionsstätten aber in Ländern mit niedrigen Steuern und Sozialabgaben verlagern und so ihre Ausgaben senken. Sie nehmen viel, und geben wenig, und damit sind sie eben „vaterlandslose Gesellen“.

Das bei den Personen, die sich zur Zeit in Deutschland in einflußreichen politischen Positionen befinden, der wirtschaftliche Sachverstand nicht sonderlich ausgeprägt ist, dürfte all denen, die sich ein wenig mit wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten beschäftigen, nicht verborgen geblieben sein. Das aber, was hier der Bundestagspräsident von sich gegeben hat, offenbart, mit allem gebührenden Respekt, einen ziemlich großen Mangel an wirtschaftlichem Sachverstand.

Wenn es doch so einfach wäre, daß man einfach nur nach Steuern, Sozialabgaben und niedrigen Lohnkosten zu schauen hätte, und dann ein Unternehmen erfolgreich führen könnte, dann wären wohl schon viel mehr Unternehmen aus Deutschland verschwunden. So einfach ist es aber nicht. Die oben genannten Faktoren sind nur ein paar aus der Masse der für Unternehmen zu berücksichtigen Standortfaktoren. Natürlich gehören sie zu den wichtigsten, da sie sich unmittelbar auf der Kostenseite auswirken, aber sie sind eben nicht die einzigen.

Unternehmen suchen sich ihre Standorte nicht allein nur nach der Kostenseite aus. Genauso wichtig ist der Absatz und die Faktoren, die die Innovationen beeinflussen, wie zum Beispiel Anbindungen an die Forschungseinrichtungen oder die informationstechnologische Infrastruktur.

Und genau da ist das Problem in Deutschland zu sehen. Deutschland ist ein einfach in der Masse der zu bedenkenden Standortfaktoren nicht mehr wettbewerbsfähig genug, um die hohen Kosten, die hier von hohen Steuern und Sozialabgaben sowie Lohnkosten geschaffen werden, wieder wett zu machen. Lange Zeit war es nämlich so, daß Deutschland beispielsweise in der Forschung, in der Verkehrsinfrastruktur oder in der Krankenversorgung Weltklasse war. Und heute? Genau in diesen Bereichen wird gespart ohne Ende, um unsere umlagebasierten Sozialsysteme aufrecht zu erhalten.

Das, was unsere Politiker verkennen, ist, daß in einer globalisierten Welt eben auch ein Wettbewerb der einzelnen Länder stattfindet, und daß besonders die Unternehmen inzwischen viel mehr Möglichkeiten haben als noch vor 30 Jahren, in den unterschiedlichsten Ländern zu forschen, zu entwickeln, und zu produzieren, und dann die dort gefundenen Ergebnisse wieder in anderen Ländern zusammen zu führen. Und bei diesem Prozeß spielen dann natürlich die Kosten eine große Rolle. Wo Deutschland nun mal schlecht abschneidet. Aber Unternehmen an die lange Leine zu nehmen ist in einer freien Wirtschaft schwer möglich.

Und während die Politiker noch diskutieren, verlagern die Unternehmen weitere Betriebsstätten. „Wacht auf!“, möchte man unseren Politikern zurufen, denn vaterlandslos sind nicht nur die, die sich die Vorteile sichern, sondern dann auch die, die die Möglichkeiten zu Veränderungen in der Hand haben, aber diese nicht nutzen, und damit die Abwanderung ermöglichen!

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