Südkorea
1998: Die Währung fällt, die Arbeitslosenquote verdoppelt
sich, soziale Absicherung gibt es nicht für die Menschen, die
sich bei Minustemperaturen auf der Strasse einen Platz zum Schlafen
suchen müssen. Die sechs größten Konzerne des Landes
gehen Pleite. Südkorea ist am Ende und kann nur durch eine
56 Milliarden Dollar Hilfe des Internationalen Währungsfonds
(IWF) vor dem totalen Zusammenbruch gerettet werden.
Südkorea
2003: Der Staatshaushalt weist Überschüsse auf, das
Wirtschaftswachstum beläuft sich auf über 5 Prozent, während
die Arbeitslosenquote unter 3 Prozent liegt. Südkorea gleicht
einer Baustelle, überall entstehen neue Wohnungen, Einrichtungen
und Unternehmen. Seoul ist das Megazentrum des Landes mit mehr als
zwölf Millionen Einwohner. Südkorea ist aus der Krise
erwacht und katapultiert sich von allen asiatischen Staaten am deutlichsten
aus dem Sumpf.
Wie
konnte ein Land, das nur knapp dem Bankrott entging sich innerhalb
so kurzer Zeit so stark erholen?
Die Antwort hierzu findet man in der Mentalität der Asiaten.
In Südkorea gibt es keine Trennung zwischen Staat und Ökonomie.
Wirtschaftliche Prosperität gilt in Südkorea als oberstes
Staatsziel. Ein Unternehmen, welches Gewinne erwirtschaftet sieht
sich aber andererseits auch als Faktor, den Staat zu stärken.
Unternehmer, welche Gewinne einfahren erleben in Südkorea eine
Heldenverehrung, die in Europa unvorstellbar ist.
Natürlich
hat man 1997 erlebt, das eine so starke Verflechtung von Wirtschaft
und Staat auch ein Fluch sein kann. Das Büro des Präsidenten
lenkte damals die Unternehmen des Landes in eine bestimmte Richtung
und verlangte von den Banken gewaltige Kredite an marode Unternehmen
zu geben. Aber die Unternehmen waren auch in Ausland hoch verschuldet
und als ausländische Investoren aus Angst begannen ihr Geld
zurückzufordern, fiel Südkorea in die Krise. Aber durch
den IWF kam die Rettung, verknüpft mit harten Auflagen. So
musste der Staat inmitten der Rezession Zinsen und Steuern erhöhen
und den Betrieben die Entlassungen vereinfachen. Am schlimmsten
für Südkorea aber war, das man ausländischen Investoren
erlauben musste südkoreanische Unternehmen zu übernehmen.
Für
die Südkoreaner war die Hilfe des IWF ein Schlag ins Gesicht.
Man fühlte sich wieder wie in der Kolonialität. Andere
Länder bestimmen über ihr Land - unvorstellbar. Also begann
man, mit aller Energie, diese Schande auszubügeln. Die starken
Gewerkschaften, nahmen ohne Proteste Lohnkürzungen und Massenentlastungen
in Kauf, die Bevölkerung verdeutlichte ihren Willen, auch ohne
knappe Devisen auszukommen, indem sie öffentlich ausländische
Luxusgüter verbrannten. Das Land wurde wachgerüttelt und
wegen dem südkoreanischen Patriotismus und der ehrgeizigen
Sparsamkeit überstand man das Schreckensjahr 1998, in welchem
die Wirtschaft um knapp 7 Prozent schrumpfte. Ein Jahr später
sprang die Konjunktur wieder an.
Ein
Verdienst der enormen Konsumlust der Bevölkerung. Dadurch,
das die Liberalisierung des Bankensektors eintrat, kommt die Bevölkerung
viel leichter an Darlehen und Kreditkarten. Südkorea konsumiert,
das erkennt man auch, da die Sparquote von 23 Prozent (1998) auf
10 Prozent (2002) sank. Diese gewaltige Nachfrage pumpte die Wirtschaft
enorm auf.
Und Südkorea hat aus seiner Krise gelernt. Die meisten Unternehmen
hatten in der Zeit des knappen Geldes verinnerlicht, die traditionellen
koreanischen Wachstumsbestreben mit westlicher Vorstellung von Profitablität
zu verbinden, ein langsamer, aber stetiger Wandel.
Vor
allem ein Bestandteil des Samsung-Konglomerats hat diesen
Wandel energisch vorangetrieben. Zu Samsung gehören nicht nur
Schiffswerften, Luxushotels, Versicherungen und Werbeagenturen,
sondern auch Samsung Electronics, ein Konzern, in dem der alte und
neue Managementstil Südkoreas aufeinandertreffen. Noch heute
existiert das riesige Werksgelände in Suwon. Dort, gleich neben
dem Werksmuseum brandmarkt ein Schild mit der Aufschrift Worst
Line die langsamste Fertigungsstrasse. Motivation durch Demütigung.
Alles wie im alten Stil: Günstige Fertigung durch hohe Stückzahlen
und straffe Organisation.
Ein hochrangiger, europäischer Manager, welcher vor kurzem
zu Samsung Electronics wechselte, empfindet den Konzern als Bienenstaat.
Bis 1997 hatte man auf Marktanteile und Wachstum geachtet, aber
nicht auf Profitablität. Das Unternehmen schrumpfte und man
entschied sich für Veränderungen. Statt Billigproduzent
zu sein, wurde man Markenhersteller. Statt in höhere Stückzahlen,
wurde in Marketing und Produktdesign investiert um bessere Margen
und höhere Preise zu erzielen. Man gab ebenfalls die Lohnfertigung
auf, wegen zu geringer Gewinnspannen. Heute werden dreiviertel aller
Produkte unter dem Samsunglogo verkauft.
Im dritten Quartal schaffte es Samsung im Handybereich auf Platz
drei hinter Nokia und Motorola, mit mehr als elf Millionen verkauften
Stücken. Die Telekommunikationssparte trägt auch dazu
bei, das das Unternehmen blüht. Ein Umsatz von 8,7 Milliarden
Euro und ein Gewinn von 1,2 Milliarden Euro im vierten Quartal 2002
beweisen dies.
Aber
nicht nur Samsung hat seine Sanierung durchgeführt. Ebenso
der Schiffsbauer Hyundai Heavy Industries und der Stahlproduzent
Paso. Aber es gibt in Südkorea immer noch Branchen,
welche sich nicht von der Vergangenheit lösen konnten (z.B.
die Automobilbranche). Ebenso ist auch die Unterstützung maroder
Betriebe durch den Staat noch immer spürbar. Alleine im Jahr
2001 erhielt der Halbleiterkonzern Hynix mehr als sieben Milliarden
Euro.
Die
wichtigste Erkenntnis für Südkorea ist, das es kein Zurück
mehr gibt in eine Zeit, als man noch unprofitables Wachstum förderte.
Das hat der IWF Südkorea bei seiner Hilfe auferlegt. Mittlerweile
hat Südkorea seine Schulden zurückbezahlt, das Land muss
nun dem Reformkurs freiwillig treu bleiben. Im Dezember wurde Präsident
Roh Moo Hyun gewählt. Er möchte eine Entflechtung von
Staat und Wirtschaft. Aber nur ein paar Tage später wurde dem
Halbleiterunternehmen Hynix ein weiteres milliardenumfassendes
Hilfspaket verabreicht. Mit Genehmigung des neuen Präsidenten.
Würde der Präsident zu seinen Wahlversprechen stehen,
würde es in Südkorea viele spektakuläre Pleiten geben.
Dies wäre aber der beste Weg für Südkorea für
eine langanhaltende Blütezeit. Wenn nicht, wäre eine neue
Krise vorprogrammiert. Die OECD prognostiziert eine Abschwächung
des Wirtschaftswachstums im laufenden Jahr. Durch den Anstieg der
Löhne und Immobilienpreise, wird die koreanische Zentralbank
voraussichtlich die Inflationsgefahr mit höheren Zinsen bekämpfen.
Das ist ein typisches Symptom für eine Hochkonjunktur. Und
irgendwie ein sehr kleines Problem, wenn man bedenkt, dass das Land
vor fünf Jahren noch am Abgrund stand......
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