Blickpunkt Unternehmen : Münchner Rück
von Thomas Badtke

Um welche Aktie handelt es sich? Der Höchststand betrug 387 Euro am Ende des Jahres 2000. Vor einem Jahr bewegten sich die Titel noch bei 292 Euro. Macht immerhin vom Top schon knapp 30 Prozent Verlust. Innerhalb der anschließenden sechs Monate fielen die Titel weiter auf Werte um 150 Euro, was einem Verlust von knapp 50 Prozent entspricht. Vor vierzehn Tagen dann, lag der Kurs bei 82,90 Euro. Nochmals mehr als 40 Prozent Kursverlust. Aber was dann folgte...

Na, wissen Sie es? Tippen Sie mal. Ich hatte auch zuerst an einen Neuen Markt-Wert gedacht, allerdings sind solche Euro-Größenordnungen dort schon seit geraumer Zeit nicht mehr an der Tagesordnung. Also, ein Nasdaq-Wert. Aber auch hier lag ich falsch. Dow Jones? Nein... Welcher Branche könnte das Unternehmen mit einem derartigen Kursverfall innerhalb dieses Zeitraums angehören? Hochtechnologie, Internet, Medien, Biotechnologie, Software? Nein, es ist ein Versicherungswert. Um genau zu sein, der weltgrößte Rückversicherer. Richtig, die Rede ist von der Münchener Rück. Als Aktionär eines deutschen Versicherungskonzerns konnte man sich die letzten Jahrzehnte eigentlich beruhigt zurücklehnen und sich ob seiner gelungenen Investmententscheidung ein Mützchen Schlaf á la Kostolany gönnen. Doch das war einmal. Fielen die Versicherungswerte erst sehr spät der anhaltenden Börsenbaisse zum Opfer, scheinen sie die verlorengegangene Zeit jetzt nachholen zu wollen. Sowohl die Allianz, als auch die Titel der Münchener Rück wiesen in der jüngeren Vergangenheit Prozentverluste an einem Tag auf, die sie sonst zum Objekt von Dividendenjägern machte.

Wer trotzdem den Abwärtstrend aussitzen wollte, könnte nun endgültig aufgeschreckt worden sein. Innerhalb von nicht einmal 10 Tagen büßten die Aktien des Münchener Rückversicherers runde 40 Prozent ein. Für ein stockkonservatives Anlageinvestment eine enorme Ausbeute - negativ betrachtet. Das Tief der Aktie bei 53,20 Euro markierte gleichzeitig einen Stand, den die Aktien seit mehr als einer Dekade nicht mehr gesehen hatten. Anders ausgedrückt: Wer vor etwas mehr als zehn Jahren Münchener Rück-Aktien erworben und sie beim Hoch von 387 Euro Ende 2000 nicht verkauft hat (was bei aller Liebe zu Stopp-Kursen und Börsenpsychologie, wohl die Mehrheit der Aktionäre sein dürfte), hat sein Geld für die Katz angelegt. Klingt hart, aber aus charttechnischer Sicht betrachtet, dürfte die jüngste Gegenreaktion auch noch nicht den Wendepunkt darstellen. Leider.

Derzeit bewegen sich die Anteilsscheine der Münchener bei Werten um 65 Euro. Ein schöner Zuwachs, wenn man als Trader beim Tief eingestiegen sein sollte. Was allerdings auch die wenigsten getan haben dürften. Auf lange Sicht wäre vom Einsteigen oder Zukaufen in großem Maße erst einmal abzuraten. Bei 75 Euro haben die Aktien einen Seitwärtstrend ausgebildet, der Ausschläge nach oben und unten ausweist, was bedeutet, dass erst bei Kursen um bzw. über 80 Euro von einem Trendbruch gesprochen werden kann, der sich dann auch mittelfristig behaupten könnte. Auf die Kurse von einst wird man wohl oder übel, wie bei so vielen anderen Titeln, noch mehrere Jahre, vielleicht sogar wieder mehr als eine Dekade lang warten müssen.

Der Absturz der Kurse in den vergangenen beiden Wochen hatte mehrere Gründe. Zum einen hatten Händler und Experten ein besseres Jahresergebnis erwartet. Die veröffentlichten 1,1 Mrd. Euro lagen dank hoher Wertberichtigungen und Abschreibungen weit unter den veranschlagten 1,8 Mrd. Euro. Der Aktienkurs erlitt damit den ersten Tiefschlag. Die Ratingagentur Standard&Poor´s setzte noch eins drauf und senkte die Bonität des Unternehmens von AA+ auf AA-, was eine Finanzierung des Unternehmens über die Anleihemärkte deutlich verteuern dürfte. Als Begründung führte die Agentur "die schwache Ergebnislage im vergangenen Geschäftsjahr" und die Tatsache, dass sich die Münchener Rück vom schwachen Marktumfeld nicht "schnell genug erholt habe" an. Der Fall des Aktienkurses ging weiter. Als dann bekannt wurde, dass der Rückversicherer eine Milliarden-Anleihe am Markt platzieren wolle, kannte der Fall kein Halten mehr. Ausschlaggebend für die Emission dieser Anleihe sei auch der starke Rückgang des Eigenkapitals gewesen. Innerhalb von einem Jahr sank das Eigenkapital der Münchener Rück von 19,5 Mrd. Euro um fünf Mrd. Euro auf jetzt nur noch 14,5 Mrd. Euro. Da die Ratingagenturen aber besonders auf die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen, insbesondere im Versicherungsbereich achten, war es zwingend notwendig eine Anleihe zu offerieren. Diese kostet, dank der Herabstufung durch S&P jetzt allerdings deutlich mehr und belastet damit den Rückversicherer noch zusätzlich. Hier kann man bereits erkennen, welche Macht Ratingagenturen haben und weshalb sie in der letzten Zeit so ins Gerede gekommen sind. Als Beispiel sei hier nur kurz ThyssenKrupp erwähnt.

Marco Metzler, von der Ratingagentur Finch spricht von einer "dramatischen Situation" in der Banken- und Versicherungsbranche, da selbst die Branchenriesen enorme Mengen an frischem Kapital benötigen. Auch die Allianz will eine Kapitalerhöhung durchführen, nachdem sie im Vorjahr einen Milliarden-Verlust, dank der Tochter Dresdner Bank eingefahren hat. Erst einmal sollen 4 Mrd. Euro per Finanzierungsweg "neue Aktien" in den Konzern geholt werden, dazu kommt noch eine Anleihenplatzierung, deren Höhe sich auf 1,5 Mrd. Euro belaufen soll.

Als die Münchener Rück dann die geplante Platzierung einer sogenannten "nachrangigen" Anleihe endlich bekannt gab, bekamen die Kurse fast nichts davon mit. Das schlechte Marktumfeld und das Kriegsszenario im Irak schienen sich urplötzlich gedreht zu haben. "Nachrangig" bedeutet übrigens, dass die Anleihe im Fall einer Insolvenz erst nach den anderen Schulden bedient wird. Die Höhe dieser Anleihe soll 500 Mio. Euro und die Laufzeit 20 Jahre betragen.

Die Händler an der Frankfurter Börse schoben die Kursgewinne, die die Versicherer und Banken, allen voran die Münchener Rück und die Allianz am Dienstag letzter Woche (25. März) "verkraften" mussten, dann auch "technischen Reaktionen" zu. Das bedeutet, nachdem die Titel soviel Terrain in so kurzer Zeit eingebüßt hätten, seien sie auch mal wieder dran mit grünen Kursvorzeichen das Glänzen in die Augen ihrer Aktionäre zurückzubringen. Als nächste Meldung wurde dann bekannt gegeben, dass die Überkreuzbeteiligung der beiden deutschen Versicherungsriesen Münchener Rück und Allianz verringert worden seien. Beide halten nunmehr nur noch jeweils rund 20 Prozent am anderen Unternehmen. Auch diese Meldung schien positiv vom Aktienmarkt aufgenommen zu werden. Der positive Trend der Aktienkurse wurde zudem durch Leerverkäufer verstärkt, so manche Händler. Sie sollen sich zuvor, auf fallende Kurse spekulierend, mit Leerverkäufen eingedeckt haben, die sie dann bei noch tieferen Kursen aufgelöst hätten. Als die Kurse sich aber dann schlagartig zu drehen begannen, mussten sie, um ihre Verluste zu begrenzen bzw. ihre Gewinne mitzunehmen, um jeden Preis Münchener Rück-Aktien kaufen. Der Kurs wurde also weiter in die Höhe getrieben. Ebenso bei der Allianz.

Auf den Gesamtmarkt bezogen, lässt sich sagen, dass die Kurssprünge der letzten Tage wohl nur als Strohfeuer gelten bzw. enden werden, wenn das politische Umfeld nicht endlich stabilisiert wird. Im Markt sind immer noch Ungewissheiten bezüglich des Irak-Krieges und der damit einhergehenden Verunsicherung in den Commodities-Märkten. Als die amerikanische "Blitzkrieg-Offensive" ins Stocken geriet und Saddam Hussein erste "Erfolge" vermelden konnte, purzelten die Aktienkurse rund um den Globus. Als jedoch die Amerikaner meldeten, sie stünden praktisch an den Stadtgrenzen von Bagdad und auch die Einnahmen erster größerer Städte gemeldet wurden, drehte das Kursbarometer auf "freundliche Tendenz". Allerdings sollte man beachten, dass die Richtung auch genauso schnell wieder drehen könnte. Zudem ist die "Krise der Finanzbranche" immer greifbarer, wie die jüngst veröffentlichten Unternehmensdaten zeigen. Zwar ist ein Gewinn von 1,1 Mrd. Euro noch immer eine enorme Größe, aber das gleichzeitige Abschmelzen der Eigenkapitalreserven, egal ob nun bei den Versicherern oder den Banken, deutet auf weitaus Schlimmeres hin.

Kurzfristige Anleger können die nervösen Wellen am Markt mitreiten. Nach den jüngsten Kursanstiegen würde ich persönlich erst einmal wieder mit Abgaben rechnen. Für die mittel- bis langfristigen Anleger, die sicher sind, dass es nicht zu noch tieferen Kursen, wie erst jüngst gesehen, kommen wird, lohnt sich der erste Einstieg mit kleinen Positionen. Ein Nachkauf sollte aber eingeplant werden. Ich denke, dass wir noch immer nicht die Tiefstkurse gesehen haben. Aber ich hoffe auch, dass ich mich irre...es wäre übrigens nicht das erste Mal.

Ach ja, vielleicht kann man sich ja irgendwann mal gegen so etwas "versichern"?

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