Campi´s Corner: Herbsthausse
von Thomas Badtke

Moin,

während man in der letzten Zeit an den weltweiten Börsen nur fallende Kurse beobachten konnte, schließlich war ja auch September, schien es innerhalb von nur fünf Tagen zu einer Kehrtwende gekommen zu sein. Vom 10. bis 15. Oktober konnte der weltweite Leitindex, der Dow Jones, um sage und schreibe 1000 Punkte zulegen. In seinem Kielwasser bewegten sich auch die asiatischen und europäischen Börsen, selbstverständlich auch der DAX, aufwärts. Jetzt stellt man sich als eifriger Wirtschaftszeitungsleser und Möchtegern-Börsenkenner die Fragen: Wieso, Weshalb, Warum...??? Immerhin war dies der größte Kurssprung innerhalb so kurzer Zeit seit April 1933.

Profitieren konnte davon auch die arg unter die Räder gekommene Commerzbank. Wie es einst der Finanzdienstleister MLP vorgemacht hatte, erklommen die Commerzbank-Aktien ein Kursplus von ca. 50 Prozent in einem Zeitraum den nicht nur strategische Langfristanleger, die wir doch heute zwangsläufig alle sind, als kurzfristig bezeichnen würden. Kaum zu glauben, dass diese Bank vorher schon, laut Gerüchten aus der Finanzmetropole London, den Gang zur Insolvenzanmeldung quasi hinter sich hatte. Der Kurs war bis zum 8. Oktober um satte 88 Prozent innerhalb von zwei Jahren gefallen, die Marktkapitalisierung von 24 Mrd. Euro auf 3 Mrd. Euro gesunken. An Kurse um 5 Euro konnten sich bis dato nur eingefleischte Anleger erinnern, 20 Jahre waren seit dem letzten so niedrigem Kursniveau vergangen. Auch die anderen DAX-Finanzwerte schürten mit Verlusten von 84 Prozent (HypoVereinsbank), 83 Prozent (Allianz/Dresdner Bank) oder 75 Prozent (Münchener Rück) die Gerüchteküche um einen deutschen Finanzkollaps. Negatives Schlusslicht war der DAX-Frischling MLP: Verlust an Börsenwert 96 Prozent. Positives Pendant dazu blieben mit ca. 64 Prozent Kursrückgang die Aktien der Deutschen Bank. Die Frage ist nur, wie man positiv definiert.
Der amerikanische Allfinanzkonzern Citigroup, einstmals leuchtenden Vorbild der gesamten weltweiten Finanzbranche, muss ebenso mit Gewinnrückgängen kämpfen, wie der Konkurrent J.P. Morgan Chase, dessen Gewinne im letzten Quartal um 91 Prozent eingebrochen sind.

Andere Veröffentlichungen in dem besagten Zeitraum, als die Kursrakete ihren Nachbrenner zündete, sorgen für Verwirrung. Im Computer- und Chipsektor glaubt Branchenführer Intel zwar weiterhin an einen Chip-Aufschwung, nur wann der kommen möge, ist noch ungewiss. So um die Weihnachtszeit, wo er sich sonst immer meldete, wird es wohl damit dieses Jahr nichts werden. Investitionsstreichungen sind beim Branchenkrösus die Folge. Härter trifft es da die Konkurrenz. AMD verdoppelte seine Verluste im 3. Quartal. Motorola vermeldet das achte Quartal in Folge Umsatzrückgänge und muss sich nicht wundern, wenn der Aktienkurs sich auf dem Niveau von vor zehn Jahren bewegt. Bei Apple gingen die Verkäufe im letzten Quartal um 14 Prozent zurück. Bei "Big Blue" IBM sanken die Gewinne um 18 Prozent. Sun Microsystems wird weitere 4400 Stellen kappen.

Nicht ganz so "blendend" steht die seit den Vorkommnissen des 11. September sich im Sturzflug befindende Luft- und Raumfahrtindustrie da. American Airlines, weltweiter Branchenführer, vermeldete das schlechteste Quartal der Unternehmensgeschichte, alle Flugzeugbestellungen wurden daraufhin storniert. Die nächsten zwei Jahre wird man auch bei Delta Airlines keine neuen Flugzeuge bestellen und United Airlines steht bereits kurz vor dem Bankrott. Für Boeing sieht es naturgemäß nicht besser aus. Sowohl die Produktion, als auch die Gewinne gingen um die Hälfte zurück.

Der Automobilsektor wird's richten, denkt man. Schließlich geht es in Deutschland den Autobauern noch gut. Aber Deutschland ist nicht Amerika. Und die Sache mit der "uneingeschränkten Solidarität" ist ja schon länger hinfällig. Die Verkäufe gehen zwar auch hierzulande zurück, allerdings nicht so stark und nur vereinzelt. Nebenbei gesagt, scheinen die deutschen Automobilunternehmer ihre Aufgaben im Bereich Kostenmanagement gemacht zu haben.
Die Hauptprobleme in der heutigen Zeit für die amerikanischen Autohersteller sind ihre firmeneigenen Pensionsfonds. Die scheinbar globale Börsenbaisse zeigt auch hier ihre Krallen. General Motors erlitt dadurch Verluste bei seinen Pensionsfonds von immerhin nicht zu verachtenden 28 Mrd. US-Dollar. Im Gegensatz zum bereits angehäuften Schuldenberg von 187 Mrd. US-Dollar (etwa die Höhe der Schulden des zahlungsunfähigen Argentinien) erscheinen die 28 Mrd. US-Dollar fast als "Peanuts". Ein gern benutztes Wort in Finanzkreisen. Auch Ford plagt sich mit 162 Mrd. US-Dollar Schulden. Von diesen Größenordnungen träumen selbst hartgesottene französische oder (D)deutsche Telekom-Manager. Honeywell und Caterpillar halten es da eher mit Entlassungen. Beim Industrieunternehmen Honeywell fallen 5000 Jobs der Stellenstreichung anheim, bei Caterpillar immerhin 3300. Im seit Enron bei den Anlegern sehr beliebten Energiesektor scheint auch langsam das Licht auszugehen. Der texanische Energiekonzern TXU, George W. Bush lässt grüßen, wird von Anlegern verklagt, weil es die Dividende um 80 Prozent gekürzt hat oder wegen "betrügerischer Inflationierung des Aktienkurses". Allegheny Energy hat den Strom bereits abgestellt wegen Zahlungsunfähigkeit. Dynegy Inc. zieht sich aus dem Stromhandel in Europa, den USA und Kanada zurück. Bloß wohin?

Zurück zum Finanzsektor. Anfang Oktober veröffentlichte die US-Bankenaufsicht einen Bericht, laut dem inzwischen 12,7 Prozent (157 Mrd. US-Dollar) von insgesamt 1871 Mrd. US-Dollar an ausstehenden Bankkrediten als "problematisch" angesehen werden. J.P. Morgan Chase und die Deutsche Bank gehören zu den weltweit größten Playern im Spiel der Finanzderivate. Genau deswegen ist die Nachricht vom Bankenkreditfinanzierer Fannie Mae ernst zu nehmen, dass man "milliardenschwere Probleme" bei den Zinsderivaten habe, aber es trotzdem nicht weiter "schlimm" sei. Blanker Hohn?

Fehlen noch die Fundamentaldaten. Die Einzelhandelsverkäufe sind so stark gefallen wie seit November 2001 nicht mehr. Der Index des Verbrauchervertrauens der Universität Michigan befindet sich auf einem Neun-Jahres-Tief.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Warum explodieren die Börsenkurse bei derart schlechten Nachrichten? Konzertierte Notenbankaktion?! Lächerlich meinen Sie? Dann beweisen Sie mir das Gegenteil oder zeigen Sie mir die positive Nachricht in diesem Text.

Ciao, Euer Campi

zurück zum "Corner"