Moin,
die
EU kommt ins Gerede. Waren es erst der sogenannte "Blaue Brief"
aus Brüssel für die deutsche Regierung oder die bald anstehende
Osterweiterung, die die Thematiken in den Gazetten und TV-Sendungen
bestimmten, drängt sich jetzt, dank der Parlamentswahlen in
der Türkei, die Aufnahme eben dieses Landes in die Europäische
Union wieder in den Mittelpunkt der Diskussion. Zudem wird nun doch
erstmals ein "Blauer Brief" an ein EU-Mitgliedsland geschickt
werden. Zwar nicht, wie befürchtet nach Deutschland, sondern
nach Portugal. Trotzdem schlimm genug. Den "Blauen Brief"
bekommt ein Land, wenn es gegen die im Maastrichter Stabilitätspakt
festgezurrten Richtmarken verstößt. Das Staatsdefizit
darf nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des jeweiligen
Landes betragen. Bei Portugal waren es 2001 4,1 Prozent. So meldet
es zumindest ein Sprecher des portugiesischen Finanzministeriums.
Unterdessen räumt der deutsche Supersparfuchs Eichel ein, dass
das Haushaltsdefizit über die magische 3-Prozent-Marke klettern
werde. Damit dürfte auch gegen Deutschland ein EU-Defizitverfahren
ins Rollen gebracht werden. Mit Milliarden-Euro-Strafen müsse
man, laut Eichel, jedoch nicht rechnen. EU-Währungskommissar
Solbes habe Hans Eichel "zugesichert", dass unter der
Voraussetzung, der "Ergreifung sofortiger Anpassungsmaßnahmen",
die das Defizit im nächsten Jahr wieder "deutlich unter
die 3 Prozent" drücken werden, Deutschland nicht mit Sanktionen
seitens der EU rechnen müsse. Da kann man also auch weiterhin
sehr gespannt sein, ob die Zahlen, einstmals von Eichels Vorgänger
Waigel akzeptiert, im kommenden Jahren wieder dem Gusto der EU-Regularien
entsprechen werden. Darauf wetten, würde ich nicht
Romano
Prodi, seines Zeichens EU-Kommissionspräsident, brachte die
Diskussion um das "starre Zahlenwerk" erst unlängst
wieder in Gang, indem er feststellte, dass der europäische
Stabilitätspakt "am Ende" sei. Wörtlich gab
er am 18 Oktober der französischen Zeitung "Le Monde"
zu verstehen: "Ich weiß sehr wohl, dass der Stabilitätspakt
dumm ist, wie alle Entscheidungen, die zu rigide sind." Er
forderte einen flexibleren und intelligenteren Mechanismus. Genau
jenes Handeln, welches jetzt Finanzminister Eichel ankündigte,
um Sanktionen der EU zu vermeiden, stellte Prodi an den Pranger.
Der ehemalige Hauptgegenspieler des derzeitigen italienischen Ministerpräsidenten
und nach der verabschiedeten umstrittenen Justizreform unangefochtenen
Regierungschef Berlusconi, Prodi, hält ein striktes Umsetzen
der Regeln, ohne eine Berücksichtigung der zukünftigen
Wachstumsaussichten schlichtweg für "dumm". Armer
SparHans Eichel...
Ein
weiteres Problem der EU ist jedoch der Dauerbeitrittskandidat
Türkei. Nach den Geschehnissen des 11. September und dem
darauf folgenden amerikanischen Antiterrorkrieg, wird eine Aufnahme
der Türkei in die EU immer wahrscheinlicher. Obwohl genau das
der falsche Weg wäre, meinen viele Kritiker. Die USA sind auf
ihren Nato-Partner Türkei als Stützpunkt-Basis für
den von George W. Bush von langer Hand geplanten Irakkrieg unerlässlich.
Auch wenn das Hauptaugenmerk derzeit geschickt gen Persischen Golf
gelenkt wird, ist eine Schlüsselrolle des Landes am Bosporus
nicht zu übersehen. Wäre die Türkei EU-Mitglied hätte
die Union jetzt plötzlich nicht nur ein islamisch-konservativ
regiertes Mitgliedsland, dessen stärkste Partei von einem wegen
Volksverhetzung vorbestraften Recep Erdogan geführt wird, nein,
plötzlich müsste die EU auch eine Außengrenze beschützen,
die nicht nur durch den angrenzenden "Achse-des-Bösen"-Staat
Irak, sondern auch von zum Teil militanten Kurden als nicht gerade
sicher gelten dürfte. Für die Amerikaner wäre dies
natürlich von Vorteil. Da die EU-Mitglieder bei einem Krieg
auch plötzlich eigene Interessen bedroht sehen würden.
Das kulturelle Problem, welches noch viel schwerwiegender wäre,
sei hier nur am Rande erwähnt. Ein Staat mit islamischen Wurzeln,
auch wenn die EU-Kommission die Reformbemühungen des Staates
immer wieder lobend erwähnt (schlichte Lippenbekenntnisse?),
ein Land, von dessen mehr als 66 Mio. Einwohnern mehr als 99 Prozent
muslimischer Abstammung sind und von dessen Grundfläche gerade
einmal 3 Prozent auf dem europäischen Kontinent liegen, wäre
aktuell noch nicht verkraftbar für die christliche Europäische
Union. Von immer wieder in den Medien auftauchenden Menschenrechtsverletzungen
und der Todesstrafe einmal ganz zu schweigen.
Die
EU hat zudem genug mit der kommenden Integration der 10 "neuen"
Zutrittsstaaten zu tun. Von denen wird in letzter Zeit immer
mehr Aufmerksamkeit den drei baltischen Staaten geschenkt. Zu Recht,
wenn man die letzten Wirtschaftsdaten zugrundelegt. Schlusslicht
beim Thema Wirtschaftswachstum ist Estland mit, für Deutsche
kaum fassbare, 5,4 Prozent. Litauen erreicht 5,9 Prozent und Spitzenreiter
ist Lettland mit horrenden 7,6 Prozent. Da dürfte sich die
EU doch über den Zuwachs freuen?! Denkste...Die Wirtschaft
floriert zwar und das vor allem im mittelständischem Bereich,
aber beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen liegen die drei
Baltenstaaten weit hinter dem Durchschnitt zurück. In Estland
liegen die Durchschnittslöhne bei rund 400 Euro. Das entspricht
zwar einer Steigerung von 50 Prozent innerhalb der vergangenen fünf
Jahre, trotzdem verdient nur jeder fünfte Einwohner des Landes
mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen 102 Euro Mindestlohn im
Monat. Darüberhinaus liegt die Arbeitslosenquote offiziell
bei mehr als 10 Prozent. Von der Konjunkturflaute verschont wurden
die meisten Unternehmen der drei Länder auch nur, weil sie
in Nischenmärkten tätig sind und diese sich nicht so abhängig
von der Weltkonjunktur zeigen, wie beispielsweise die als hochentwickelt
geltenden Industrien Deutschlands oder Frankreichs.
Das
EU-Erweiterungen nicht mehr so glimpflich vonstatten gehen, wie
in der Vergangenheit, erkennt man auch beim Gerangel um die EU-Agrarsubventionen.
Dank Chirac und Schröder bleiben die Hilfen für die Landwirtschaft
bis 2013 bei 45 Mrd. Euro jährlich. Hinzu kommt noch 1 Prozent
Inflationsausgleich. Während die Bauern der heutigen EU-Mitglieder
damit gut leben können, bleiben für die Neulinge im Schnitt
"nur" 5 Mrd. Euro aus dem Subventionstopf übrig.
Zu wenig zum Leben, zum Sterben zuviel. Polen, das den größten
Landwirtschaftsanteil der EU-Anwärter hat, probte ja bereits
den Aufstand. Und als wäre das nicht schon genug, soll das
Thema "Agrar" im kommenden Jahr in international Rahmen
diskutiert und gefeilscht werden.
Als äußerst positiv galt bisher die EU-Wettbewerbskommission
unter Monti. Aber auch hier bröckelt es und die Fassade des
arbeitswütigen "Super Mario" zeigt erste ernsthafte
Risse. Nachdem die Behörde noch die amerikanische Megafusion
General Electric (GE) - Honeywell verhindert hatte und dem als Ur-Unternehmer
der USA geltenden Jack Welch eine persönliche Niederlage zum
Ende seiner GE-Karriere beigebracht hatte, bahnt sich jetzt innereuropäischer
Ärger an. Die beiden von der EU-Wettbewerbsbehörde untersagten
Zusammenschlüsse von Schneider und Legrand (beides französische
Elektronikunternehmen) und von Sidel und Tetra-Laval (Verpackungen)
wurden vom EuGH wegen "unzureichender Beweise und einer Reihe
offensichtlicher Begründungsfehler" nun doch zugelassen.
"Schlamperei" trifft es wohl am besten, was die Männer
und Frauen um Monti hier ablieferten. Zuviel Arbeit? Wohl kaum,
schließlich befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise, die
langsam aber sicher als globale angesehen werden kann bzw. muss.
So
wie es derzeit aussieht, kommen jetzt die ersten Feuertaufen auf
die europäische Gemeinschaft zu. Diese muss sie bestehen, wenn
sie nicht wieder als loser Zusammenschluss von Staaten, ohne politische
und kulturelle Einheit in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will.
Denn damit wäre das Experiment Europa gescheitert, das vor
mehr als 50 Jahren aus einer deutsch-französischen Idee geboren
wurde.
Ciao,
Euer Campi
zurück
zum "Corner"
|