Campi´s Corner: Die EU kommt ins Gerede
von Thomas Badtke

Moin,

die EU kommt ins Gerede. Waren es erst der sogenannte "Blaue Brief" aus Brüssel für die deutsche Regierung oder die bald anstehende Osterweiterung, die die Thematiken in den Gazetten und TV-Sendungen bestimmten, drängt sich jetzt, dank der Parlamentswahlen in der Türkei, die Aufnahme eben dieses Landes in die Europäische Union wieder in den Mittelpunkt der Diskussion. Zudem wird nun doch erstmals ein "Blauer Brief" an ein EU-Mitgliedsland geschickt werden. Zwar nicht, wie befürchtet nach Deutschland, sondern nach Portugal. Trotzdem schlimm genug. Den "Blauen Brief" bekommt ein Land, wenn es gegen die im Maastrichter Stabilitätspakt festgezurrten Richtmarken verstößt. Das Staatsdefizit darf nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des jeweiligen Landes betragen. Bei Portugal waren es 2001 4,1 Prozent. So meldet es zumindest ein Sprecher des portugiesischen Finanzministeriums. Unterdessen räumt der deutsche Supersparfuchs Eichel ein, dass das Haushaltsdefizit über die magische 3-Prozent-Marke klettern werde. Damit dürfte auch gegen Deutschland ein EU-Defizitverfahren ins Rollen gebracht werden. Mit Milliarden-Euro-Strafen müsse man, laut Eichel, jedoch nicht rechnen. EU-Währungskommissar Solbes habe Hans Eichel "zugesichert", dass unter der Voraussetzung, der "Ergreifung sofortiger Anpassungsmaßnahmen", die das Defizit im nächsten Jahr wieder "deutlich unter die 3 Prozent" drücken werden, Deutschland nicht mit Sanktionen seitens der EU rechnen müsse. Da kann man also auch weiterhin sehr gespannt sein, ob die Zahlen, einstmals von Eichels Vorgänger Waigel akzeptiert, im kommenden Jahren wieder dem Gusto der EU-Regularien entsprechen werden. Darauf wetten, würde ich nicht

Romano Prodi, seines Zeichens EU-Kommissionspräsident, brachte die Diskussion um das "starre Zahlenwerk" erst unlängst wieder in Gang, indem er feststellte, dass der europäische Stabilitätspakt "am Ende" sei. Wörtlich gab er am 18 Oktober der französischen Zeitung "Le Monde" zu verstehen: "Ich weiß sehr wohl, dass der Stabilitätspakt dumm ist, wie alle Entscheidungen, die zu rigide sind." Er forderte einen flexibleren und intelligenteren Mechanismus. Genau jenes Handeln, welches jetzt Finanzminister Eichel ankündigte, um Sanktionen der EU zu vermeiden, stellte Prodi an den Pranger. Der ehemalige Hauptgegenspieler des derzeitigen italienischen Ministerpräsidenten und nach der verabschiedeten umstrittenen Justizreform unangefochtenen Regierungschef Berlusconi, Prodi, hält ein striktes Umsetzen der Regeln, ohne eine Berücksichtigung der zukünftigen Wachstumsaussichten schlichtweg für "dumm". Armer SparHans Eichel...

Ein weiteres Problem der EU ist jedoch der Dauerbeitrittskandidat Türkei. Nach den Geschehnissen des 11. September und dem darauf folgenden amerikanischen Antiterrorkrieg, wird eine Aufnahme der Türkei in die EU immer wahrscheinlicher. Obwohl genau das der falsche Weg wäre, meinen viele Kritiker. Die USA sind auf ihren Nato-Partner Türkei als Stützpunkt-Basis für den von George W. Bush von langer Hand geplanten Irakkrieg unerlässlich. Auch wenn das Hauptaugenmerk derzeit geschickt gen Persischen Golf gelenkt wird, ist eine Schlüsselrolle des Landes am Bosporus nicht zu übersehen. Wäre die Türkei EU-Mitglied hätte die Union jetzt plötzlich nicht nur ein islamisch-konservativ regiertes Mitgliedsland, dessen stärkste Partei von einem wegen Volksverhetzung vorbestraften Recep Erdogan geführt wird, nein, plötzlich müsste die EU auch eine Außengrenze beschützen, die nicht nur durch den angrenzenden "Achse-des-Bösen"-Staat Irak, sondern auch von zum Teil militanten Kurden als nicht gerade sicher gelten dürfte. Für die Amerikaner wäre dies natürlich von Vorteil. Da die EU-Mitglieder bei einem Krieg auch plötzlich eigene Interessen bedroht sehen würden. Das kulturelle Problem, welches noch viel schwerwiegender wäre, sei hier nur am Rande erwähnt. Ein Staat mit islamischen Wurzeln, auch wenn die EU-Kommission die Reformbemühungen des Staates immer wieder lobend erwähnt (schlichte Lippenbekenntnisse?), ein Land, von dessen mehr als 66 Mio. Einwohnern mehr als 99 Prozent muslimischer Abstammung sind und von dessen Grundfläche gerade einmal 3 Prozent auf dem europäischen Kontinent liegen, wäre aktuell noch nicht verkraftbar für die christliche Europäische Union. Von immer wieder in den Medien auftauchenden Menschenrechtsverletzungen und der Todesstrafe einmal ganz zu schweigen.

Die EU hat zudem genug mit der kommenden Integration der 10 "neuen" Zutrittsstaaten zu tun. Von denen wird in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit den drei baltischen Staaten geschenkt. Zu Recht, wenn man die letzten Wirtschaftsdaten zugrundelegt. Schlusslicht beim Thema Wirtschaftswachstum ist Estland mit, für Deutsche kaum fassbare, 5,4 Prozent. Litauen erreicht 5,9 Prozent und Spitzenreiter ist Lettland mit horrenden 7,6 Prozent. Da dürfte sich die EU doch über den Zuwachs freuen?! Denkste...Die Wirtschaft floriert zwar und das vor allem im mittelständischem Bereich, aber beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen liegen die drei Baltenstaaten weit hinter dem Durchschnitt zurück. In Estland liegen die Durchschnittslöhne bei rund 400 Euro. Das entspricht zwar einer Steigerung von 50 Prozent innerhalb der vergangenen fünf Jahre, trotzdem verdient nur jeder fünfte Einwohner des Landes mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen 102 Euro Mindestlohn im Monat. Darüberhinaus liegt die Arbeitslosenquote offiziell bei mehr als 10 Prozent. Von der Konjunkturflaute verschont wurden die meisten Unternehmen der drei Länder auch nur, weil sie in Nischenmärkten tätig sind und diese sich nicht so abhängig von der Weltkonjunktur zeigen, wie beispielsweise die als hochentwickelt geltenden Industrien Deutschlands oder Frankreichs.

Das EU-Erweiterungen nicht mehr so glimpflich vonstatten gehen, wie in der Vergangenheit, erkennt man auch beim Gerangel um die EU-Agrarsubventionen. Dank Chirac und Schröder bleiben die Hilfen für die Landwirtschaft bis 2013 bei 45 Mrd. Euro jährlich. Hinzu kommt noch 1 Prozent Inflationsausgleich. Während die Bauern der heutigen EU-Mitglieder damit gut leben können, bleiben für die Neulinge im Schnitt "nur" 5 Mrd. Euro aus dem Subventionstopf übrig. Zu wenig zum Leben, zum Sterben zuviel. Polen, das den größten Landwirtschaftsanteil der EU-Anwärter hat, probte ja bereits den Aufstand. Und als wäre das nicht schon genug, soll das Thema "Agrar" im kommenden Jahr in international Rahmen diskutiert und gefeilscht werden.
Als äußerst positiv galt bisher die EU-Wettbewerbskommission unter Monti. Aber auch hier bröckelt es und die Fassade des arbeitswütigen "Super Mario" zeigt erste ernsthafte Risse. Nachdem die Behörde noch die amerikanische Megafusion General Electric (GE) - Honeywell verhindert hatte und dem als Ur-Unternehmer der USA geltenden Jack Welch eine persönliche Niederlage zum Ende seiner GE-Karriere beigebracht hatte, bahnt sich jetzt innereuropäischer Ärger an. Die beiden von der EU-Wettbewerbsbehörde untersagten Zusammenschlüsse von Schneider und Legrand (beides französische Elektronikunternehmen) und von Sidel und Tetra-Laval (Verpackungen) wurden vom EuGH wegen "unzureichender Beweise und einer Reihe offensichtlicher Begründungsfehler" nun doch zugelassen. "Schlamperei" trifft es wohl am besten, was die Männer und Frauen um Monti hier ablieferten. Zuviel Arbeit? Wohl kaum, schließlich befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise, die langsam aber sicher als globale angesehen werden kann bzw. muss.

So wie es derzeit aussieht, kommen jetzt die ersten Feuertaufen auf die europäische Gemeinschaft zu. Diese muss sie bestehen, wenn sie nicht wieder als loser Zusammenschluss von Staaten, ohne politische und kulturelle Einheit in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will. Denn damit wäre das Experiment Europa gescheitert, das vor mehr als 50 Jahren aus einer deutsch-französischen Idee geboren wurde.

Ciao, Euer Campi

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