| Moin, für 
              die erste Kolumne des Jahres 2003 dachte ich mir, einfach einmal 
              ganz auf die Themen Wirtschaft und Politik zu verzichten. Zum einen, 
              weil über die Weihnachtstage nicht sonderlich viel, sowohl 
              in der Wirtschaft (mal abgesehen vom Einzelhandel und Gaststättengewerbe), 
              als auch in der Politik, passiert ist. Zumindest wo das Interesse 
              auch Ihrerseits bestünde, dass man über solch ein Thema 
              etwas schreiben müsse. Falls Sie also Anregungen haben oder 
              Kritik üben möchten, können sie dies natürlich 
              tun. Ich bin für alles zugänglich. Aber zurück zu den Weihnachtsfeiertagen. Wie in jedem Jahr, 
              egal wie gut die Vorsätze aus dem vergangenen auch gewesen 
              sein mögen, schlemmt man zuviel, trinkt über den Durst, 
              schläft im Allgemeinen zu lange und rüstet sich damit 
              für den noch ausstehenden harten Winter mit ein paar zusätzlichen 
              Rollen an Winterspeck. Das ist das normale an Weihnachten. Und man 
              hat an Sylvester wieder die Gelegenheit, sich gute Vorsätze 
              für das neue Jahr auszudenken. Auch wenn sie nicht allzu lang 
              halten werden. The same procedure as every year, James
 Die 
              Zeit über die Feiertage kann man aber auch, vielleicht sollte 
              man es auch auf jeden Fall, dazu nutzen, einmal wieder zu lesen. 
              Das Fernsehprogramm hat man bereits vor Jahren im Kino gesehen und 
              für Märchen ist man schlicht und ergreifend zu alt. Das 
              Wetter war auch nicht wie Weihnachten, also greift man zu einem 
              Buch. Das tat ich in einer Buchhandlung in Weimar und angelte mir, 
              mehr aus Versehen, ein Buch, das da heißt: Streiflichter 
              aus Amerika - Die USA für Anfänger und Fortgeschrittene. 
              Sie ahnen bereits, wieso ich es dann gekauft habe. Das Reizwort 
              heißt Amerika. Zudem verheißt einem der 
              Klappentext nur gutes. Die Wochenzeitung Die Zeit meint 
              darüber: Ein überaus witziges, ein wunderbar ironisches 
              Buch. Na, wenn das kein Hammerbuch ist... Letzten 
              Endes habe ich es gekauft. Es stammt von Bill Bryson, seines Zeichens 
              ein Reiseschriftsteller. Er kehrte nach zwanzig Jahren, die er in 
              der alten Welt, sprich England verbracht hat, in seine eigentliche 
              Heimat zurück. Samt seiner Familie zog er nach Hanover in New 
              Hampshire (Amerika) und nimmt dort als Kolumnist den amerikanischen 
              Alltag unter die Lupe. Er gibt Einblicke in die amerikanische Bürokratie, 
              wohingegen selbst die deutsche, glauben sie es mir oder nicht, eine 
              wahrhaft unbürokratische zu sein scheint. Bryson schreibt aber 
              auch über Themen aus der Wirtschaft, die horrenden Staatsschulden 
              der USA, die Probleme, die er mit AT&T hatte und wohl noch immer 
              hat, das amerikanische Verbraucherverhalten usw. Soviel zur Einstimmung. 
              Als erste Kolumne dachte ich mir, dass ich ein Bryson-Streiflicht 
              hier niederschreibe. Einfach nur, damit sie wenigstens am Anfang 
              des Jahres einmal Grund zum Lachen haben, wenn sie die Campi´s 
              Corner im Investorweb besuchen. Und Weihnachten ist ja noch 
              nicht solange her, vielleicht erkennen sie in den folgenden Zeilen 
              auch einen Teil ihrer selbst wieder. Viel Spaß!  
              Am 
                Weihnachtsbaume die Lichter brennen Es 
                sind nur noch achtzehn kurze Tage bis zum Fest, und meine Frau 
                kann jederzeit ins Zimmer treten und verkünden, dass es Zeit 
                sei, den Weihnachtsschmuck hervorzuholen. Noch hat sie sich nicht 
                gerührt, aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch 
                aushalte. Ich hasse es, das Haus zu Weihnachten zu schmücken, weil 
                es ja erstens bedeutet, dass ich auf den Dachboden krabbeln muss. 
                Dachböden sind unangenehm schmutzige, dunkle Orte. Dort oben 
                findet man immer Sachen, die man nicht finden will - ellenlange 
                angeknabberte Stromkabel, Spalten zwischen den Dachpfannen, durch 
                die man das Tageslicht sehen und bisweilen sogar den Kopf stecken 
                kann, und Kistenweise Sammelsurium, das man in einem Augenblick 
                geistiger Umnachtung dort hochgehievt hat. Allein dreierlei Dinge 
                kann man gewiss sein, wenn man sich hinaufwagt: dass man sich 
                mindestens zweimal an einem Balken den Schädel aufschlägt, 
                dass man das Gesicht voller Spinnweben kriegt und dass man nicht 
                findet, was man sucht. Doch der wahre Horror kommt, wenn man wieder 
                hinunterklettern will. Dann stellt man nämlich fest, dass 
                die Trittleiter mysteriöserweise einen Meter Richtung Badezimmertür 
                gerückt ist. Man weiß ums Verrecken nicht, wie, aber 
                so ist es immer. Also schiebt man die Beine durch die Luke und 
                angelt blind mit den Füßen nach der Leiter. Wenn man 
                das rechte Bein so weit ausstreckt, wie es geht, kommt man soeben 
                mit seinem Zeh daran, was einem natürlich auch nicht viel 
                nützt. Schließlich erkennt man, dass man erst einen 
                Fuß und dann womöglich den anderen Fuß auf die 
                oberste Sprosse kriegt, wenn man sie wie ein Turner am Barren 
                hin- und herschwingt. Das ist freilich kein entscheidender Durchbruch, 
                denn man liegt nun in einem Winkel von sechzig Grad und ist unfähig, 
                irgend einen weiteren Fortschritt zu erzielen. Leise in sich hineingrummelnd 
                versucht man mit den Füßen die Leiter näher zu 
                ziehen, erreicht indes nur, dass sie krachend umkippt.
 Jetzt 
                steckt man ernsthaft in der Klemme. Man versucht sich zappelnd 
                zurück auf den Dachboden zu manövrieren, aber die Kräfte 
                versagen. Also bleibt man an den Achselhöhlen hängen 
                und ruft die Gattin zu Hilfe. Doch sie hört einen nicht. 
                Das ist sowohl frustrierend als auch seltsam. Normalerweise hört 
                sie sonst Dinge, die sonst niemand hört. Zum Beispiel, dass 
                zwei Zimmer weiter ein Klacks Marmelade auf den Teppich fällt 
                oder man verschütteten Kaffee ganz stiekum mit einem guten 
                Badehandtuch aufwischt oder Straßenschmutz auf einen sauberen 
                Fußboden trägt. Ja, sie hört schon, wenn man nur 
                an etwas denkt, das man nicht tun sollte. Hängt man jedoch 
                in einer Dachluke fest, scheint sie urplötzlich in einer 
                schalldichten Kammer verschwunden zu sein.  Wenn 
                sie dann endlich mehr als eine Stunde später über den 
                oberen Flur geht und einen da baumeln sieht, ist sie ganz verblüfft.Was machst du denn da? fragt sie nach einer Weile.
 Man schielt zu ihr hinunter. Dachlukenaerobic, erwidert 
                man einen winzigen Tick sarkastisch.
 Willst du die Leiter?
 Mann, eine tolle Idee. Weißt du, ich hänge hier 
                seit Ewigkeiten und versuche, darauf zu kommen, was mir fehlt, 
                und du hast es auf Anhieb erkannt. Man hört, wie die 
                Leiter zurechtgerückt wird, und spürt, wie die Füße 
                die Sprossen hinuntergeleitet werden. Aber die Hängerei hat 
                einem offensichtlich gut getan, denn jäh erinnert man sich, 
                dass der Weihnachtsschmuck gar nicht auf dem Dachboden ist - auch 
                nie dort war -, sondern in einem Pappkarton im Keller. Natürlich! 
                Wie dumm, dass man daran nicht gedacht hat. Und schon saust man 
                los.
 Zwei 
                Stunden später findet man das Gesuchte hinter ein paar alten 
                Autoreifen und einem kaputten Kinderwagen versteckt. Man hievt 
                den Karton nach oben und widmet zwei weitere Stunden dem Auseinanderfummeln 
                von Lichterketten. Wenn man sie anschließt, funktionieren 
                sie selbstverständlich nicht. Außer einer. Die schleudert 
                einen in einem Funkenregen mit einem kräftigen Stoß 
                rücklings gegen eine Wand und funktioniert dann auch nicht 
                mehr. Man beschließt, die Lichterketten sein zu lassen und den 
                Baum aus der Garage zu holen. Der ist riesig und sticht. Man umklammert 
                ihn unbeholfen, schleppt ihn brummend zur Hintertür, fällt 
                ins Haus, rappelt sich wieder auf und drängt weiter. Während 
                einem die Zweige in die Augen stechen, die Nadeln Wangen und Zahnfleisch 
                durchlöchern und das Harz es irgendwie schafft, einem hinterrücks 
                die Nase hoch zu laufen, tappt man durchs Zimmer, haut Bilder 
                von den Wänden, räumt Tische ab und kippt Stühle 
                um. Die Gattin, die eben noch so mysteriös unauffindbar war, 
                ist nun überall auf einmal und dirigiert einen mit verwirrenden, 
                energischen Zurufen: Pass auf das Dingsda auf! Daher nicht 
                - geh daher! Nach links! Nein, nicht von dir aus links - von mir 
                aus! Schließlich sagt sie in sanfterem Ton: Oooh, 
                ist dir was passiert, Schatz? Hast du die Stufen nicht gesehen? 
                Wenn man dann das Wohnzimmer erreicht hat, schaut nicht nur der 
                Baum aus, als habe ihn saurer Regen entblättert, sondern 
                man selbst auch.
 Und 
                genau in diesem Moment fällt einem ein, dass man keine Ahnung 
                hat, wo der Weihnachtsbaumständer ist. Seufzend stapft man 
                zum Eisenwarenladen in der Stadt und kauft einen neuen, wohlwissend, 
                dass in den nächsten drei Wochen alle Weihnachtsbaumständer, 
                die man je in seinem Leben erworben hat, spontan wieder auftauchen, 
                meist, indem sie einem vom oberen Ablagebord eines Schranks aufs 
                Haupt fallen, während man auf dem Bodenfach herumstöbert. 
                Manchmal lauert einem aber auch einer mitten in einem dunklem 
                Zimmer oder oben an der Flurtreppe auf. Wenn man es nicht schon 
                weiß, kapiert man es spätestens jetzt: Weihnachtsbaumständer 
                sind ein Werk des Satans, und sie wollen einen - tot und nicht 
                lebendig. Da man schon einmal im Eisenwarenladen ist, kauft man 
                zwei neue Lichterketten, die auch nicht funktionieren werden. An 
                Leib und Seele ermattet, schafft man es endlich, den Baum aufzustellen, 
                mit allerlei Flitterkram zu behängen und zum Leuchten zu 
                bringen. Gebückt wie der Glöckner von Notre Dame steht 
                man davor und betrachtet ihn mit verhaltener Abscheu.Oh, wie hübsch! schreit die Gattin, schlägt 
                die Hände verzückt unterm Kinn zusammen und verkündet: 
                Jetzt lass uns draußen den Schmuck anbringen. Dieses 
                Jahr hab ich uns was besonders Schönes gegönnt - einen 
                Weihnachtsmann in Lebensgröße für den Schornstein. 
                Hol mal die Zwölfmeterleiter und ich pack die Kiste aus. 
                Ach, was macht das Spaß! Und sie hopst los.
 Sie 
                können mich nun mit gutem Grund fragen: Warum machen sie 
                das alles immer mit? Warum klettern sie auf den Dachboden, wenn 
                sie doch wissen, dass der Schmuck nicht dort liegt? Warum futzeln 
                sie die Lichterketten auseinander, wenn sie nie im Leben funktionieren? 
                Und meine Antwort darauf lautet: Es gehört zum Ritual. Ohne 
                das wäre Weihnachten nicht Weihnachten.Und deshalb habe ich mich entschlossen, jetzt anzufangen, obwohl 
                Mrs. Bryson noch keine Order erteilt hat. Es gibt Dinge im Leben, 
                die man tun muss, ob man will oder nicht. Falls sie mich gleich 
                für irgendwas brauchen, ich hänge in der Dachluke.
 [ Bill 
                Bryson; Streiflichter aus Amerika - Die USA für Anfänger 
                und Fortgeschrittene; Goldmann Verlag]
 Ob 
              man es nun glaubt oder nicht, das war noch nicht einmal die beste 
              Kolumne. Wenn sie Der Katastrophentourist aus seinem 
              Buch gelesen haben, wissen sie, was ich meine. Ciao,Euer Campi
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