Moin,
zu
aller erst einmal eine Gedenkminute für Intershop, den
einstigen New-Economy-Stolz ganz Thüringens. Stephan Schambach
hat für seine Jenenser Softwareschmiede die Prognosen für
das laufende Geschäftsjahr drastisch reduziert. Statt wie bisher
erwartete 45 Mio. Euro werden wohl allem Anschein nach nur rund
20 bis 25 Mio. Euro umgesetzt. Dagegen soll der Verlust vor Steuern,
Abschreibungen und Zinsen auf 20 Mio. Euro anwachsen. Bisher lagen
die Schätzungen bei lediglich 5 Mio. Euro. Die Kapitaldecke
dürfte daher beträchtlich abschmelzen. Die Zukunft erscheint
daher nicht sehr rosig. Zur Entlastung sollte jedoch erwähnt
werden, dass diverse Analysten und Experten Intershop schon seit
mehreren Jahren kaum Überlebenschancen mehr einräumen.
Abwarten heißt also auch weiter die Devise......und Daumen
drücken.
Nun
aber zu des Pudels Kern. Silvio Berlusconi, vom "Spiegel"
als "Der Pate" bezeichnet, was meiner Meinung nach eine
Beleidigung für die von Mario Puzo geschaffene Romanfigur und
die von Scorsese bravourös in Szene gesetzte Filmfigur ist,
ist neuer Ratspräsident der Europäischen Union. Vergleichen
kann man ihn mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush.
Berlusconi bricht zwar keinen Krieg vom Zaun, aber auch er kam nur
dank seines Geldes und einer schieren Medienübermacht an der
selbigen. Dank seiner drei TV-Privatsender "Italia 1",
"Canale 5" und "Rete 4", sowie seiner Mondadori-Pressegruppe
(größter Zeitungs- und Zeitschriftenverlag in Italien)
gelang es ihm 2001 erneut an die Regierung in Italien zu kommen.
Spötter behaupten, er sei nur in die italienische Politik gegangen,
um seine weltlichen Verfehlungen aus dem Weg zu räumen. Und
derer gibt es mehr als genug: Anklagen wegen Meineid, illegaler
Parteienfinanzierung, Bestechung von Finanzbeamten, Bilanzfälschung,
Steuerhinterziehung, Amtsmissbrauch, Bestechung von Richtern und
Korruption lassen in etwa erahnen, in welch dubioser Weise Herr
Berlusconi an sein Vermögen (reichster Mann Italiens mit geschätzten
10 Mrd. Euro) und seine Macht gekommen ist. Den Beinamen "Der
Pate" bekam er verpasst, weil er auch mit dem organisierten
Verbrechen Hand in Hand zusammen arbeiten soll. Angeblich stecken
diverse Mafia-Familien hinter seinem Aufstieg zum Baumagnaten und
Wirtschaftsboss.
Zu
seinem Firmenkonglomerat Fininvest zählt auch Mediaset. Das
Medienunternehmen war in den letzten Jahren immer wieder in den
deutschen Schlagzeilen. Es bestand nicht nur eine Überkreuzbeteiligung
mit der deutschen KirchMedia; nein, nach deren Insolvenz war Berlusconi
auch als "Retter" ins Gespräch gebracht worden. Nachdem
Haim Saban den Kauf des Filmstocks und der ProSieben Sat.1 Media-Gruppe
nicht mehr durchführen konnte, weil Co-Investoren fehlten,
könnte Berlusconi seine Mediaset erneut ins Bieter-Gespräch
bringen. Immerhin schreibt Mediaset tiefgrüne Zahlen, 362 Mio.
Euro Reingewinn für 2002 stehen zu Buche. Bei ProSieben Sat.
1 Media dagegen lag der Gewinn bei 15 Mio. Euro. Derzeit werden
wieder rote Zahlen geschrieben, auch wenn "Die Harald Schmidt
Show" jetzt fünf Tage in der Woche läuft. Zusammen
mit den staatlichen Sender der RAI-Gruppe erreicht Berlusconi im
italienischen TV-Markt einen Marktanteil von Gates-haften 90 Prozent.
Selbst bei der TV-Werbung liegt der Berlusconi-Anteil bei mehr als
65 Prozent. Zum Vergleich: Die beiden deutschen Senderfamilien RTL
Group und ProSieben Sat.1 Media kommen jeweils auf 35 bis 40 Prozent
Marktanteil beim TV-Werbemarkt.
Die
Macht, die Berlusconi medial besitzt, nutzt er auch. So ließ
er diverse Berlusconi-kritische Sendungen, Moderatoren und Redakteure
beim Staatsfernsehen RAI aussortieren. Auch im Zeitungsgeschäft
versucht er kritische Äußerungen ihm gegenüber zu
unterbinden. Ähnliches versucht er mit dem italienischen Justizsystem.
Gesetze, die nicht nach seinem Gusto sind bzw. seiner Machtfülle
Einhalt gebieten könnten, werden abgeschafft oder geändert.
Sein Lehrmeister in diesem Fall war der ehemalige italienische Ministerpräsident
Bettino Craxi. Er erlaubte es Berlusconi erst, per Dekret, sein
Quasi-TV-Monopol aufzubauen. Parallelen zum deutschen Privatfernsehmarkt
zeichnen sich hier ab. Auch in Deutschland sorgte erst eine christdemokratische
Offensive unter Ex-Kanzler Kohl dafür, dass aus Kabel-Versuchsprojekten
Privatsender wurden. Und da RTL ehemals sozialdemokratische Züge
trug (ist lange her), unterstützte Kohl seinen konservativen
Gleichdenker Kirch wo er nur konnte. Als Premiere (Bertelsmann),
DF1 (Kirch) und die Deutsche Telekom (Technikbereich) im digitalen
Fernsehmarkt per Joint Venture eng zusammenarbeiten wollten, untersagte
dies die Europäische Kommission. Kohl versuchte dann erheblichen
Druck auf die Wettbewerbshüter auszuüben. Er scheiterte
jedoch.
Aber
zurück zur Justiz. Im Sinne Berlusconis geändertes Recht
findet man in Italien immer öfter. So stellt ein 2001 neu erlassenes
Gesetz Bilanzfälschung nicht mehr unter Strafe. Berlusconi
ist in den vergangenen zehn mehrere Male wegen Bilanzfälschung
angeklagt worden. Ein ebenfalls aus dem Jahr 2001 stammendes Gesetz
schränkt Rechtshilfeersuchen erheblich ein. Beweismaterialien
aus dem Ausland können so nur eingeschränkt in italienischen
Prozessen verwendet werden. Ein Jahr später wurde dann per
Gesetz festgezurrt, dass man den Gerichtsort verlegen kann, wenn
an der Unvoreingenommenheit des Richters Zweifel aufkommen. Konkret
ging es dabei um die Verlegung des Gerichtsortes bei einer Bilanzfälschungsanklage
gegenüber Berlusconi. Die letzten Fälle für das Eingreifen
Berlusconis in den demokratischen Apparat Italiens sind die sogenannten
"Immunitäts-Gesetze". Das erste erhebt die fünf
höchsten staatlichen Repräsentanten Italiens in den Bereich
völliger Immunität, während ihrer Amtszeit. Da aber
auch ein Berlusconi nicht ewig regieren kann, plant er ein weiteres
Immunitäts-Gesetz. Dieses soll auch den Parlamentariern Immunität
verleihen. Damit bestünde auch nach einer Abwahl keine Möglichkeit
gegen Berlusconi vorzugehen, da er als normaler Parlamentarier ebenfalls
völlige Immunität genießen würde.
Das
Porzellan, welches George W. Bush außenpolitisch zerdeppert,
zertrümmert Berlusconi innenpolitisch. Das Berlusconis Regierungsbündnis
"Casa delle Liberta" auch auf Stimmen aus dem Rechten
Lager baut, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Für
die kommenden sechs Monate steht nun dieses italienische Musterbeispiel
für einen "Hüter der Demokratie" an der Spitze
Europas. Einerseits könnte sich dadurch das europäisch-amerikanische
Verhältnis wieder deutlich entspannen. Andererseits sorgte
bereits Berlusconis erste Ansprache vor dem europäischen Parlament
für Zündstoff, als er einen deutschen SPD-Abgeordneten,
der ihn zuvor kritisiert hatte, mit einem "KZ-Aufseher"
verglich. Das war natürlich ironisch gemeint vom "Tele-Duce
Silvio". Auf Kritik scheint er gereizt zu reagieren. Aber er
muss lernen damit umzugehen, denn Kritik an ihm wird es in den kommenden
sechs Monaten regelrecht hageln. Für Europa ist Berlusconi
nicht gut, für das Sommerloch in den Medien hingegen schon.
Ciao,
Euer Campi
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