Campis Corner: "Warum verkauft GM kein Crack?"
von Thomas Badtke
31.08.2003

Moin,

es ist an der Zeit, wieder einmal indirekt ein Buch vorzustellen. Nach Bill Bryson steht dieses mal, völlig zu Recht, Michael Moore im Fokus des Interesses. Sein erstes "deutsches" Buch "Stupid white men" bewegt sich nun seit mehr als einem dreiviertel Jahr in den Top-Sphären der deutschen Bestsellerlisten. Nun wurde sein amerikanisches Erstlingswerk "Downsize this" (in Amerika 1997 erschienen) auf deutsch veröffentlicht und startete gleich von null auf zwo.

Grund genug ein Kapitel aus "Querschüsse - Downsize this" von Michael Moore, erschienen beim Piper Verlag, ISBN 3-492-04564-2 hier vorzustellen. Das Kapitel passt wie kaum ein anderes in die heutige Zeit der Massenentlassungen und Massenarbeitslosigkeit, in eine Zeit wo Aktienkursgewinne mit Entlassungen von mehreren Tausend Menschen "erkauft" werden.

"Warum verkauft GM kein Crack?"
Für Geschäftsleute "ist der Gewinn am wichtigsten", und sie tragen diesen Grundsatz gern in Sprechchören vor. "Der Profit ist König." ist ein anderes Motto, das sie gerne wiederholen. Dagegen wiederstrebt ihnen der Satz: "Ich übernehme die Rechnung." Denn das bedeutet weniger Gewinn. Wenn sie das Wort "Bilanz" verwenden, meinen sie ihren Gewinn. Die Bilanz gefällt ihnen am besten, wenn sie aus einer Zahl mit möglichst vielen Nullen besteht.
Hätte ich jedes Mal fünf Cent bekommen, wenn ich einen Anzugträger sagen hörte, dass "ein Unternehmen alles Notwendige tun muß, um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen", könnte ich jetzt eine sehr gute Bilanz ziehen. Hier noch ein weiterer beliebter Spruch aus der Geschäftswelt: "Ein Konzernchef hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Aktionäre seines Unternehmens möglichst viel Geld verdienen."
Macht sie euch Spaß, diese Lehrstunde in Kapitalismus? Ich bekomme sie jedes Mal, wenn ich mit einem Flugzeug fliege. Die Bilanzverbesserer haben alle "Roger & Me" (erster Dokumentarfilm von Michael Moore; Anm. des Verfassrrs), und sie verwechseln den Rumpf einer DC-9 häufig mit der Oxford Debating Society. Also muß ich mir bis zum Erbrechen Vorträge über die Vorzüge unserer freien Marktwirtschaft anhören. Heute sitzt der Besitzer eines amerikanischen Unternehmens neben mir, das Büromaterial herstellt - in Taiwan. "Wieviel ist ´genug´?", frage ich den Unternehmer. "Genug von was?", fragt er zurück. "Wieviel ist ´genug´ Gewinn?" Er lacht und sagt: "Da gibt es kein ´genug´!"
"Zum Beispiel hat General Motors letztes Jahr fast 7 Milliarden Dollar Profit gemacht, aber es hätten auch 7,1 Milliarden Dollar sein können, wenn es sein Werk in Parma, Ohio, geschlossen und nach Mexiko verlegt hätte. Wäre das in Ordnung gewesen?" "Nicht nur in Ordnung", sagt er. "Es wäre sogar seine Pflicht gewesen, das Werk zu schließen und die zusätzlichen 0,1 Milliarden zu verdienen".
"Selbst wenn das für die Stadt Parma den Ruin bedeutet hätte? Warum sollte sich der Konzern nicht mit einem Gewinn von 7 Milliarden Dollar begnügen und Parma verschonen? Warum sollte er für 0,1 Milliarden Dollar Tausende von Familien ruinieren? Halten sie das für moralisch?"
"Für moralisch"?, fragt er, als ob er das Wort seit der ersten Konfirmandenstunde nicht mehr gehört hätte. "Das ist doch kein moralisches Problem. Das ist eine rein wirtschaftliche Frage. Ein Unternehmen muss tun können, was es will, um einen Gewinn zu erzielen." Dann lehnt er sich vor, als wolle er mir eine große Offenbarung machen. "Der Gewinn ist am wichtigsten, verstehen Sie?"
Wenn der Gewinn wirklich am wichtigsten ist, verstehe ich nur eins nicht: Warum verkauft ein Unternehmen wie GM keinen Crack? Crack ist eine sehr gewinnträchtige Ware. Mit jedem Pfund Kokain, aus dem Crack produziert wird, macht ein Dealer einen Gewinn von 45000 Dollar. Demgegenüber verdient ein Autohändler an einem 2000 Pfund schweren Auto nicht einmal 2000 Dollar. Außerdem ist Crack sicherer als Autos. Jedes Jahr sterben 40000 Menschen bei Autounfällen, Crack dagegen verursacht der regierungsamtlichen Statistik zufolge nur ein paar hundert Todesopfer pro Jahr, und obendrein verschmutzt es die Umwelt nicht. Warum also verkauft GM kein Crack? Wenn der Gewinn am wichtigsten ist, warum dann nicht Crack verkaufen?
GM verkauft Crack nicht, weil der Verkauf von Crack illegal ist. Warum ist er illegal? Weil wir als Gesellschaft zu der Einsicht gekommen sind, dass Crack das Leben von Menschen ruiniert. Es zerstört ganze Gemeinden. Es nagt direkt am Rückgrat unseres Landes. Deshalb können wir einem Unternehmen wie GM nicht erlauben, Crack zu verkaufen, gleichgültig, wie viel Gewinn die Firma damit machen könnte.
Wenn wir GM nicht erlauben, Crack zu verkaufen, weil das Rauschgift unsere Gemeinden zerstört, warum darf der Konzern dann seine Werke schließen? Das zerstört doch auch unsere Gemeinden. "Wir können ihn nicht daran hindern, Fabriken zu schließen, weil er das Recht hat, zu tun, was er will, um Gewinne zu machen", würde mein vielfliegender Freund darauf antworten. Aber das stimmt nicht. Es gibt viele Dinge, auf die der Konzern kein "Recht" hat. Er darf auch Kinderpornographie nicht verkaufen und weder Chemiewaffen noch andere lebensgefährliche Produkte herstellen, nur weil er mit ihnen Gewinn machen könnte. Wir können Gesetze verabschieden, die Konzerne daran hindern, uns zu schaden.
Und der massive Abbau von Arbeitskräften, diese ganze Gesundschrumpferei, schadet uns. Ich spreche nicht von berechtigten Entlassungen, wenn ein Unternehmen Verluste macht und einfach nicht mehr die Kapitalreserven hat, um seine Arbeiter zu bezahlen. Ich spreche von Konzernen wie GM, AT&T und GE, die Entlassungen vornehmen, obwohl sie Rekordgewinne in Milliardenhöhe erzielen. Topmanager, die so etwas tun, werden nicht verachtet, öffentlich angeprangert oder verhaftet - sie werden als Helden verehrt! Sie kommen auf die Titelseiten von Fortune und Forbes. Sie dozieren in der Harvard Business School über ihre Erfolge. Sie veranstalten große Galadiners, um Wahlkampfspenden zu sammeln, und sitzen neben dem amerikanischen Präsidenten. Sie sind die Herren des Universums, schlicht und einfach, weil sie ungeachtet der gesellschaftlichen Folgen riesige Profite machen.

Ja, sind wir denn wahnsinnig geworden? Warum lassen wir so etwas zu? Es ist unrecht, wenn man mit der Arbeit anderer Leute Geld macht und sie feuert, nachdem man das Geld gemacht hat. Es ist unmoralisch, dass ein Konzernchef Millionen Dollar verdient, obwohl er gerade das Leben von 40000 Familien zerstört hat. Und es ist absolut irre, dass amerikanische Konzerne auf Kosten unserer eigenen Bevölkerung Fabriken nach Übersee verlegen dürfen. Wenn ein Unternehmen Tausende entlässt, was passiert dann in der betroffenen Gemeinde? Kriminalität, Selbstmordrate, Drogenmissbrauch, Alkoholismus, Gewalt in der Ehe, Scheidungen, das alles nimmt mit gefährlichen Rückkopplungseffekten zu. Genauso wirkt Crack. Nur das Crack illegal ist und Massenentlassungen nicht. Wenn sich in eurem Viertel ein Crack-Haus befände, was würdet ihr tun? Ihr würdet versuchen, es abzureißen! Ich glaube, es ist an der Zeit, Massenentlassungen genauso betrachten wie Crack. Es ist ganz einfach: Wenn sie der Bevölkerung schaden, sollten sie illegal sein. Wir leben in einer Demokratie. Wir machen Gesetze, die auf unserem Verständnis von Recht und Unrecht beruhen. Wenn wir eine Handlung als unrecht empfinden, machen wir ein Gesetz, das sie verbietet. Mord? Unrecht, also wird er gesetzlich verboten. Einbruch? Unrecht, also versuchen wir Einbrecher vor Gericht zu stellen. Zwei große, stark behaarte Jungs aus Newt Gingrichs Büro schlagen mich zusammen, nachdem sie dieses Buch gelesen haben? Dafür kriegen sie fünf bis zehn Jahre Knast.
Als Gesellschaft haben wir das Recht, uns vor Schaden zu schützen. Als Demokratie haben wir die Pflicht, uns durch gesetzliche Maßnahmen vor Schaden zu schützen. Folgende Maßnahmen sollten wir meiner Ansicht nach zu unserem Schutz ergreifen:

1. Wir verbieten, dass ein Konzern eine gewinnbringende Fabrik schließt und nach Übersee verlegt. Wer ein Werk schließt und es an einen anderen Ort in den USA verlegt, muß die Kommune des bisherigen Unternehmenssitzes entschädigen. Wenn eine Frau hart gearbeitet hat, damit ihr Mann studieren konnte, und er sie verlässt, nachdem er durch das von ihr ermöglichte Studium reich geworden ist, dann muß der Mann seine Ex-Frau nach unseren Scheidungsgesetzen angemessen entschädigen. Bei der "Ehe" zwischen einer Kommune und einem Konzern sollte das nicht anders sein. Wenn ein Unternehmen die Koffer packt und abhaut, sollte es ordentlich Alimente bezahlen müssen.

2. Wir verbieten, dass Unternehmen Bundesstaaten gegeneinander ausspielen. Wir sind alle Amerikaner. Es ist kein Sieg für unsere Gesellschaft, wenn ein Staat auf Kosten des anderen gewinnt. Texas sollte nicht in der Lage sein, Massachusetts die Arbeitskräfte abzuwerben. Diese Mechanismen schaden der Allgemeinheit und sind offen gesagt legale Formen der Erpressung.

3. Wir besteuern alle Gewinne mit 100 Prozent, die ein Aktionär macht, wenn seine Aktien wegen der Ankündigung von Massenentlassungen steigen. Niemand sollte von so schlimmen Nachrichten profitieren dürfen.

4. Wir verbieten, dass das Einkommen eines Topmanagers das Durchschnittseinkommen seiner Arbeitskräfte um mehr als das Dreißigfache übersteigt. Wenn den Arbeitskräften in Krisenzeiten der Lohn gekürzt wird, sollte sich die Kürzung auch auf das Gehalt des Konzernchefs erstrecken. In einem Jahr, in dem ein Konzernchef eine Menge Beschäftigte entlässt, sollte er keinen Bonus kassieren dürfen.

5. Im Vorstand von Staatsbetrieben müssen die Beschäftigten des Unternehmens und die Verbraucher vertreten sein. Ein Unternehmen arbeitet besser, wenn es denen Gehör schenkt, die seine Produkte herstellen und benützen.

Radikalen Befürwortern der freien Marktwirtschaft, die mit diesen gemäßigten Vorschlägen nicht einverstanden sind und vielleicht demnächst neben mir im Flugzeug sitzen und schreien: "Ihr könnt einem Unternehmen doch nicht vorschreiben, wie es arbeiten soll!", habe ich folgendes zu sagen: Aber natürlich können wir das! Wir schreiben den Unternehmen gesetzlich vor, dass sie sichere Produkte herstellen, die Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleisten, ihren Beschäftigten zumindest den Mindestlohn zahlen, Sozialbeiträge leisten und noch eine Vielzahl anderer Regeln beachten, die wir als Gesellschaft zur Sicherung unseres Wohlstandsfür nötig halten. Und wir können auch alle gesetzlichen Maßnahmen ergreifen, die ich oben vorgeschlagen habe.

GM kann kein Crack verkaufen. Und ich sage voraus, dass GM und andere Konzerne uns auch bald nicht mehr für dumm verkaufen können. Feuert einfach noch mehr Arbeiter, meine Freunde, und ihr werdet schon sehen, was passiert.

Ciao,
Euer Campi

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