1903
begannen in den USA die Aktienkurse kräftig zu steigen. Der
zur damaligen Zeit noch junge Dow Jones Industrial Index, in dem
sich neben Aktien aus anderen Industriezweigen vor allem Eisenbahnaktien
befanden, kletterte stetig nach oben. Die Marke von 100 Punkten
wurde am 12. Januar 1906 das erste Mal überschritten (zum Vergleich:
am 26. Mai 1896, dem Start des Dow Jones Industrial Index, wurden
ein Index-Stand von 40,74 Punkten berechnet); dabei blieb es dann
aber auch in den Folgemonaten, der Index tendierte eher leicht fallend.
Am
Morgen des 18. April 1906 gegen fünf Uhr, wurde San Francisco
von einem 40 Sekunden andauernden heftigen Erdstoß erschüttert.
Kurze Zeit später kam es zu einem weiteren Stoß, welcher
8,3 auf der Richterskala erreichte und stärker war als der
erste.
Zunächst hatte es den Anschein, als ob die Stadt beide Erdstöße
gut überstanden hätte: die Region um San Francisco galt
als eines der erdbebengefährdetsten Gebiete der Welt, und die
Bewohner waren entsprechend vorgewarnt.
Doch bald lösten Kurzschlüsse an beschädigten Stromleitungen
und geborstenen Gasrohren kleine Brände aus, die sich rasch
zu einer Feuersbrunst ausbreiteten, da das Beben das gesamte Wasserleitungsnetz
der Stadt zerstört hatte. Erst drei Tage später erlosch
das Feuer und hinterließ eine Ruinenstadt mit 30.000 zerstörten
Häusern. 500 Menschen fanden den Tod, der Gesamtschaden wurde
auf 600 Millionen Dollar geschätzt.
Die
Aktienmärkte blieben zuerst ganz ruhig, wie gelähmt, aber
Ende April erfasste eine Panikwelle die Börse. Die Eisenbahn-
und die Industriewerte verloren binnen Tagen 20% an Börsenwert.
Besonders schlimm traf es die Versicherungswerte, die die enorme
Schadenssumme aufbringen mussten. Die Rückstellungen bei vielen
Finanzinstituten wurden nahezu aufgezehrt - die damalige größte
Brandversicherungsgesellschaft in den USA, die Aetna Fire Insurence
Company, meldete, dass die Brandkatastrophe die Ersparnisse von
40 Jahren aufgezehrt hatte.
Jedoch konnten die größten Wertverluste bis Jahresende
wieder aufgeholt werden. Ende 1906 aber kam die Aufwärtsbewegung
erneut zum Stillstand.
Im
Januar 1907 kam es zu größeren Aktienverkäufen,
obwohl die Gewinne der Eisenbahngesellschaften neue Rekordhöhen
erreichten. In den folgenden Monaten erschütterten weitere
Ereignisse die Börse. So kam es im März zur so genannten
"Panik der Reichen", als die Aktien der Union Pacific,
in kurzer Zeit einen Großteil ihres Wertes einbüßten.
Am 14. März stürzte der Dow Jones um 8,3% ab. Und bis
Oktober erfolgten weitere Schläge, die zu Beben an der Börse
führten, noch allerdings ohne zu einer allgemeinen Panik zu
führen: Im Juni 1907 scheiterte die Ausgabe einer Anleihe der
Stadt New York. Die Anleihe hatte ein Volumen von 29 Millionen und
war mit 4% verzinst. Gezeichnet wurden aber nur 2 Millionen. Im
Juli 1907 brach der Kupfermarkt zusammen. Und im August 1907 wurde
die Gesellschaft Rockefellers, die Standart Oil Company, zu einer
Geldstrafe von 29 Millionen Dollar verurteilt wegen Verstößen
gegen das Antitrustgesetz. All diese Ereignisse verhallten ohne
größere Auswirkungen an der Börse.
Ende
Oktober jedoch war der Markt nervös. Zwar hatten die vorgenannten
Ereignisse keine größeren Auswirkungen auf die Kurse,
aber die Psyche der Marktteilnehmer war angeschlagen. Am Montag,
den 21. Oktober 1907, gab die National Bank of Commerce am späten
Nachmittag bekannt, dass die die Einlösung der Knickerbocker
Trust Company, der damals drittgrößten Bank New Yorks,
ab sofort verweigert. Jetzt drohte eine Panik. J.P. Morgan organisierte
ein Treffen mit den Vorsitzenden der New Yorker Banken, um Abwehrmaßnahmen
zu treffen. Eine Einigung konnte aber nicht erzielt werden, die
Banker blieben untätig. Am 22. Oktober begann der Ansturm auf
die Knickerbocker Trust Company, die innerhalb von drei Stunden
mehr als 8 Millionen Dollar an Bargeld ausgeben musste. Kurz nach
Mittag stellte sie ihre Arbeit ein. Am Mittwoch, dem 23. Oktober,
geriet die zweitgrößte Bank New Yorks, die Trust Company
of America, in den Sog der panischen Massen. Die "New York
Times" hatte in einem Artikel vor Problemen des Bankhauses
gewarnt, weshalb auch hier von den Bewohnern New Yorks gewaltige
Mengen Geldes abgezogen wurden. Insgesamt verlor die Bank 47,5 Millionen
ihrer 60 Millionen Dollar-Reserve.
Am
24. Oktober 1907 schließlich erreichte die Panik die New Yorker
Börse. Zuerst waren die so genannten "Call Loans"
dran, die begrenzten, jederzeit kündbaren Kredite, die Banken
den Maklerhäusern zur Verfügung standen. Mit ihnen wurden
Margin-Konten finanziert, die Makler von ihren Kunden forderten.
Diese Call Loans wurden an der Börse am "Money Post"
täglich zwischen 12 und 14.15 Uhr abgewickelt, wenn sich die
Banker einfanden, um Kredite an die Broker weiterzuleiten. Am 24.
Oktober jedoch gab es nicht genügend Mittel, um die Nachschussforderungen
der Makler zu befriedigen. Geld war nicht mehr zu bekommen, und
wenn, dann nur gegen Zinsforderungen von 100-150%. Doch selbst zu
diesen Zinsen wurde Geld nur zögerlich zur Verfügung gestellt.
Die Panik war perfekt.
Jesse
Livermore beschrieb in seinem Buch "Das Spiel der Spiele"
die Geschehnisse an jenem Tag: "
(Ein befreundeter
Broker sagte an jedem Tag zu ihm:) Nirgendwo Geld; man kann seine
Aktien nicht verkaufen, denn es gibt niemanden, der sie kaufen könnte.
Wall Street ist bankrott, wenn Du mich fragst." Nach Livermores
Worten war es die schlimmste Panik in der Geschichte der Vereinigten
Staaten.
Erst
durch das schnelle Eingreifen J.P. Morgans, der mit der Hilfe verschiedener
Banken einen Kredit von 10 Millionen Dollar zur Verfügung stellte,
wurde die Situation entspannt. Die Liquidität am Aktienmarkt
konnte dadurch aufrecht gehalten werden, und der Verkaufsdruck der
Kunden ließ langsam nach. Auch die Bankenszene in New York
stabilisierte sich wieder, aufgrund der Zusammenarbeit verschiedener
großer Banken wie Morgan, Baker und Stillman, sowie anderer
Quellen wie etwa J.D. Rockefeller, welche die dringend benötigten
Finanzmittel zur Verfügungstellten.
Dennoch
ging das Jahr 1907 in die Geschichte ein als eines der schlimmsten
Jahre in der amerikanischen Börsengeschichte. Zum Jahresende
notierte der Dow Jones bei 58,75 Punkten, ein Minus von 37,73% im
Jahresvergleich.
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