1973 - Das Jahr der Ölkrise
von Carsten Lexa
18.08.2003

Im Jahr 1967 eroberte Israel die Sinai-Halbinsel sowie die Golanhöhlen und besetzte den Gaza-Streifen, das Westjordanland und Ost-Jerusalem (im sog. "Sechstagekrieg"). Dadurch geriet es international zunehmend unter Druck. Besonders die arabischen Staaten forderten einen umgehenden Rückzug aus den besetzten Gebieten. Doch Israel wägte sich vorerst in Sicherheit, da sein ägyptische Erzfeind, Präsident Gamal Abdul-Nassar, kürzlich verstorben war; Warnungen vor möglichen Vergeltungen der arabischen Welt wurden ignoriert. Auch das im Jahre 1970 erklärte Angebot des neuen ägyptischen Präsidenten Anwar as Sadat, mit Israel einen Friedensvertrag zu schließen, wenn dieses die Halbinsel Sinai wieder an Ägypten abtreten würde, wurde von dem damaligen israelischen Regenten Golda Meirs und seiner Labor-Regierung zurückgewiesen.

Durch diese Zurückweisung wurde die Stimmung im Nahen Osten weiter angeheizt. In der Folge entschlossen sich Ägypten und Syrien zu einem Angriff auf Israel. Am 6. Oktober 1973, zu Yom Kippur (der heiligste Feiertag der Israeliten), fielen die beiden Staaten in Israel ein. Doch Israel wehrte sich entschieden und stand drei Wochen später mit seinen Truppen wenige Kilometer vor Kairo und Damaskus. Die arabischen Staaten mussten reagieren - und ihre Waffe war das Erdöl.

Am 17. Oktober 1973 beschloss die OPEC (Organisation erdölexportierender Staaten) als Reaktion auf den so genannten Yom-Kippur-Konflikt eine 5-%ige Reduktion des Ölangebots gegenüber dem September-Niveau vom 1973 (möglich war dies, weil die arabischen Länder schon damals einen großen Teil des Ölmarktes unter ihrer Kontrolle hatten). Es wurde verkündet, die Erdölförderungen so lange erheblich einzuschränken, bis die von Israel besetzten Gebiete befreit und die "Rechte des palästinensischen Volkes" wiederhergestellt waren. Gegen die als Freunde Israels geltenden USA und die Niederlande wurde sogar ein kompletter Lieferstopp verhängt. Die OPEC wollte damit die westliche Welt unter Druck setzen, die weitere Unterstützung Israels aufzugeben (und gleichzeitig sollte aber auch auf die Inflation und den Verfall des Dollars mittels einer Erhöhung des Ölpreises reagiert werden, denn durch die höheren Ölpreise versprach man sich, die ständig steigenden Kosten für Anlagen und Waren, die die arabischen Staaten in den westlichen Industriestaaten kauften, aufzufangen).

Die Reduktion des Ölangebots wirkte sich unmittelbar auf den Ölmarkt aus. Der Ölpreis ging durch die Decke. Dadurch wurden die westlichen Industrieländer und auch Japan in eine schwierige Situation gebracht - Erdöl bildete bei ihnen einen wichtigen Produktionsfaktor und Energielieferanten. So wurde z.B. in der Bundesrepublik Deutschland 55% des Energiebedarfs zu der Zeit durch aus den arabischen Ländern bezogenes Erdöl gedeckt.

Bis zu diesem Zeitpunkt war man in den Industrieländern der Ansicht, die globalen Energiereserven seien unerschöpflich. Doch nun erkannte man, dass dies ein Irrtum war. So stellte sich heraus, dass z.B. in der Bundesrepublik Deutschland selbst bei sparsamstem Verbrauch nur eine Ölreserve für drei Monate zur Verfügung stand. Das plötzliche Embargo löste in der Bevölkerung einen Schock aus, Politikern befürchteten eine Krise ungeahnten Ausmaßes, und Ökonomen prognostizierten das Ende von Wirtschaft du Wohlstand. Angeheizt wurde die Stimmung von den Zeitungen, die mit immer schlimmeren Überschriften die Angst in der Bevölkerung schürten.

Die deutsche Regierung unter dem Bundeskanzler Willy Brandt beschloss am 19. November 1973 als Sofortmaßnahme ein Sonntagsfahrverbot für alle Autofahrer für vier Wochen und ein Tempolimit von 100km/h auf allen Autobahnen, um wenigsten einen Teil des Öls einzusparen. Lediglich für ein paar Gruppen, wie z.B. Taxifahrer und Ärzte, bestanden Ausnahmegenehmigungen. Durchgesetzt wurde das Verbot mittels intensiver Kontrollen und einer Erhöhung des Bußgelds für eine Übertretung des Sonntagsfahrverbots von 80 auf 500 DM. In Deutschland waren von dieser Maßnahme 13 Millionen Autobesitzer betroffen.

Auch politisch wurde auf das Ölembargo reagiert. Am 5. November 1973 forderten die EG-Außenminister Israel in einer Erklärung auf, die seit 1967 besetzten Gebiete zu räumen. Im Dezember schloss sich Japan dieser Erklärung an. In der Folge lockerte die OPEC schrittweise die Abgabebeschränkung. Doch auch nach der Entspannung der Lage, verbunden mit einer Anhebung der Produktion, verharrte der Ölpreis auf hohem Niveau - gegenüber dem Stand vor dem Ausbruch des Nahostkonflikts hatte sich der Preis pro Barrel zum Jahresende vervierfacht.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen waren verheerend. Die in kurzer Zeit drastisch angestiegenen Energiepreise verursachten einen massiven Absturz der Konjunktur mit rezessiven Tendenzen. Gleichzeitig wurde durch den hohen Ölpreis die Inflation angeheizt. Die Wirtschaft schlitterte in die Stagflation (ein Zustand, in dem die Preise steigen, obwohl die Wirtschaft stagniert). Durch den Ölpreisschock wurde die westliche Welt in die schwerste Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren gestürzt. Zwar beschloss die Bundesregierung Gegenmaßnahmen, aber diese waren nicht in der Lage, die Konjunktur zu stabilisieren.
Folgende Beispiele sollen zur Verdeutlichung der Krise dienen:

  • von 1973 bis 1974 stieg der Preis pro Barrel Rohöl trotz der Dollarentwertung von 82,2 DM auf 223,87 DM (eine Steigerung um 172,2%)
  • die Arbeitslosigkeit stieg auf 2,6% (1974) und 4,8% (1975)
  • das Bruttoinlandsprodukt fiel von 5,3% (1972) auf 0,4% (1974) und -1,8% (1975)
  • der DAX (historisch verknüpft mit der Zeitreihe des Index der Börsenzeitung, da er erst 1988 offiziell eingeführt wurde) stand Ende September 1974 fast 40% unter seinem Höchstkurs vom Juli 1972
  • viele Branchen mussten einen starken Rückgang der Produktion hinnehmen: die Autoindustrie um 18%, das Baugewerbe um 16% und die Textilbranche um 11%

Ab 1975 besserte sich die wirtschaftliche Lage wieder. Nichtsdestotrotz hatte die Krise den westlichen Industriestaaten deutlich vor Augen geführt, wie abhängig ihre Wirtschaft vom Erdöl war. In der Folge versuchten viele Staaten, durch Investitionen in alternative Energien (wie Atom-, Wind- und Solarenergie) ihre Abhängigkeit vom Öl zu verringern. So wurde z.B. in der Bundesrepublik im Dezember 1973 ein Milliarden-Programm zum Bau von 40 Kernkraftwerken verabschiedet. Dennoch blieb das Erdöl bis heute einer der wichtigsten Energielieferanten. Das Problem der Massenarbeitslosigkeit in den westlichen Industriestaaten konnte aber nicht mehr beseitigt werden und schaffte so neue soziale und wirtschaftliche Probleme. Die Zeit des Wirtschaftswunders war endgültig vorbei.

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