In
den Jahrzehnten vor 1990 war Japan zu einer führenden Wirtschaftsmacht
aufgestiegen. Die Situation in diesem Land war vergleichbar mit
derjenigen Deutschlands: nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einem massiven
Wirtschaftsaufschwung, der erst Mitte der Sechziger Jahre an Tempo
verlor, aber trotzdem - abgesehen von vereinzelten exogenen Schocks
wie die Auflösung des Systems fester Wechselkurse von Bretton
Woods (1971-1973) oder der Ölkrise (1973-1974) - nicht gänzlich
verschwand. Durch die starken Wertzuwächse des Yen in den Jahren
1975-1978 und 1985-1989 sowie die Deregulierung des Außenhandels
und der Finanzmärkte beschleunigte der Aufschwung Japans wieder;
die japanische Wirtschaft wurde zunehmend mit der Weltwirtschaft
verzahnt. Japan galt zeitweise als "Motor" der Weltkonjunktur.
Der
Grund für den Aufstieg Japans zu eine führenden Wirtschaftsmacht
lag in der Verlagerung der industriellen Produktion von der Chemie-
und Schwerindustrie auf die Hightech- und Elektroindustrie - diese
Bereiche machten dann ca. 2/3 des japanischen Exports aus. Aber
auch der Automobil- und Schiffsbau verzeichnete Exporterfolge. Die
Japaner wussten die Produktivität ständig durch technische
Innovationen zu steigern. Außerdem senkte die Bank of Japan
seit 1982 beständig die Leitzinsen, der Diskontsatz fiel von
5,5% (1982) auf 2,5% (1987). Durch die hohen staatlichen Investitionsausgaben
und die massive Senkung der Leitzinsen war Kapital zu extrem niedrigen
Zinsen am Finanzmarkt zu bekommen. Der Aufschwung der Wirtschaft
wurde dadurch verstärkt; gleichzeitig kam es durch die geldpolitischen
Maßnamen zu einem Anstieg am Aktien- und Immobiliemarkt.
Als wichtiger Faktor wird auch die Börseneinführung des
staatlichen Telekommunikationsunternehmens Nippon Telephone &
Telegraph (NTT) im Jahr 1987 gesehen. Die Emission war ein voller
Erfolg, und der Run führte zu Preissteigerungen nicht nur bei
NTT, sondern auch bei anderen Aktien. 1988 überstieg der Wert
von NTT denjenigen aller an sämtlichen deutschen Börsen
notierten Inlandsaktien.
Durch
die billigen Kredite und steigenden Aktienkursen wurden immer mehr
Unternehmen dazu verleitet, vorhandenes Geld nicht im eigentlichen
Geschäft, sondern am Finanzmarkt zu investieren. Insbesondere
diejenigen Gesellschaften, deren Branchen (wie z.B. die Schwerindustrie)
zunehmend an Bedeutung verloren, versuchten auf diese Weise die
sinkenden Geschäftsgewinne auszugleichen. Als Kreditsicherheiten
beliehen diese Unternehmen in der Regel ihren großen Immobilienbesitz.
Das die Grundstückspreise ebenso stark gestiegen waren wie
die Aktienkurse, kam ihnen dabei zugute.
Nun
nahm der Boom gigantische Ausmaße an. Der Nikkei-225
- der Leitindex der Tokioter Börse - verdoppelte sich innerhalb
von nur 3 Jahren: Anfang 1987 lag der Index bei 17.000 Punkten,
Ende 1989 stand er bei 38.900 Punkten. Gleichzeitig war das Volumen
der gehandelten Aktien von 120 Milliarden in 1983 auf 280 Milliarden
in 1989 gestiegen. Auch der Immobilienmarkt blähte sich
auf: der Preisindex für Wohnimmobilien in sechs großen
Städten stieg von 5.800 Punkten im Jahr 1980 auf 20.600 Punkte
in 1989. Niemand dachte daran, dass irgendwann einmal mit dieser
Entwicklung Schluß sein musste, dass die Aufwärtsspirale
irgendwann zu Ende war (um es zu verdeutlichen: alle japanischen
Grundstückswerte - und Japan ist eine Insel - waren viermal
so hoch bewertet wie die der gesamten Vereinigten Staaten; die Grundstückswerte
des japanischen Kaiserpalastes in Tokio waren mehr wert als der
Grund des US-Staates Kalifornien).
Im
Hintergrund des Booms aber wucherten schon die Probleme.
Durch die ständige Rationalisierung der Unternehmen wuchs die
Arbeitslosigkeit. Viele Familien konnten sich aufgrund der gestiegenen
Preise keine Wohnung mehr leisten und mussten mit ebenfalls teuren
Mietwohnungen vorlieb nehmen, was wiederum die Kaufkraft einschränkte.
Außerdem stieg die Staatsverschuldung stark an - im Jahr 1988
erreichte sie bereits die Hälfte des Bruttosozialprodukts.
Allein die Tilgung der Zinsen erforderte damals fast ein Fünftel
der Staatsausgaben.
Um
die gewaltige Schuldenlast einzudämmen, reagierte die japanische
Regierung mit einer Steuerreform, die durch die Einführung
eine allgemeinen Mehrwertsteuer dem Staat Mehreinnahmen bescheren
sollte. Außerdem versuchte die Bank of Japan mit verschiedenen
geldpolitischen Mitteln, den Zugang zu neuen Krediten, insbesondere
für Immobiliengeschäfte, zu erschweren. Darüber hinaus
hob die Bank of Japan zur Abkühlung der Wirtschaft den Leitzins
binnen 15 Monaten von 2,5% auf 6% an; gleichzeitig wurde die Höhe
der Kreditsumme, die Banken für Immobiliengeschäfte ausgeben
durften, beschränkt.
Die
Maßnahmen zeigten alsbald Wirkung, der steile Aufwärtstrend
des Nikkei wurde beendet. Die Blase an den japanischen Finanzmärkten
zerplatzte - nicht mit einem lauten Knall, sondern langsam und in
kleinen Schritten. Erste Gerüchte über Probleme im Finanzsektor
kamen an die Öffentlichkeit. Bis dahin wurden nämlich
Kredite ohne größere Überprüfung der Bonität
und Sicherheit gewährt. Jetzt stellte sich heraus, dass ungedeckte
Kredite durch phantasievolle Buchführung verschleiert wurden.
Als dies bekannt wurde, verlor der Nikkei von Februar bis April
1990 10.000 Punkte auf einen Stand von 28.000 Punkten. Doch dies
sollte erst der Anfang sein. Die Banken sperrten die Kreditvergabe.
Dadurch war den Unternehmen der Weg zu dringend benötigten
finanziellen Mitteln verschlossen - zahlreiche Insolvenzen waren
die Folge. Zudem belasteten die weitern Zinserhöhungen (bis
August 1990 auf 6%).
Auch
auf den Immobilienmarkt hatte die fallende Börse einen bestimmenden
Einfluss. Diejenigen Unternehmen, die ihre Kredite mit Grundstücken
gesichert hatten, kamen in Schwierigkeiten und mussten Notverkäufe
an Grundstücken vornehmen. Durch das gesteigerte Angebot fielen
die Preise. 1996 lagen sie in den Städten über 50% unter
den Höchstkursen.
Japan
schlitterte unaufhaltsam in eine Rezession. Immer neue Horrormeldungen
schockten die Börse, und die Bank of Japan war auch mit Leitzinssenkungen
seit Mitte 1991 nicht mehr in der Lage, die Katastrophe zu verhindern.
10
Jahre nach dem Crash hat sich die japanische Wirtschaft immer noch
nicht erholt (auch wenn inzwischen erste Silberstreifen am Horizont
auftauchen). Der Nikkei notiert ca. 75% unter den Höchstkursen
des Dezember 1989. Nach Schätzungen belasten immer noch "faule
Kredite" in Höhe von ca. 550 Milliarden US-Dollar das
japanische Finanzsystem. Weitere Verluste mussten die japanischen
Banken verkraften durch die Abschläge an den europäischen
und amerikanischen Börsen, die ihnen in ihren Portfolios aus
ausländischen Vermögenswerten entstanden. Versuche der
japanischen Zentralbank, durch weitere Zinssenkungen die Wirtschaft
zu stimulieren, scheiterten kläglich, obwohl der Diskontsatz
inzwischen nur mehr 0,1% beträgt. Ein Ende der Wirtschaftskrise
ist jedoch trotz ermutigender Zeichen in der letzten Zeit noch immer
nicht abzusehen.
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