1990 - Die "Japan-AG" bricht zusammen
von Carsten Lexa
18.08.2003

In den Jahrzehnten vor 1990 war Japan zu einer führenden Wirtschaftsmacht aufgestiegen. Die Situation in diesem Land war vergleichbar mit derjenigen Deutschlands: nach dem 2. Weltkrieg kam es zu einem massiven Wirtschaftsaufschwung, der erst Mitte der Sechziger Jahre an Tempo verlor, aber trotzdem - abgesehen von vereinzelten exogenen Schocks wie die Auflösung des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods (1971-1973) oder der Ölkrise (1973-1974) - nicht gänzlich verschwand. Durch die starken Wertzuwächse des Yen in den Jahren 1975-1978 und 1985-1989 sowie die Deregulierung des Außenhandels und der Finanzmärkte beschleunigte der Aufschwung Japans wieder; die japanische Wirtschaft wurde zunehmend mit der Weltwirtschaft verzahnt. Japan galt zeitweise als "Motor" der Weltkonjunktur.

Der Grund für den Aufstieg Japans zu eine führenden Wirtschaftsmacht lag in der Verlagerung der industriellen Produktion von der Chemie- und Schwerindustrie auf die Hightech- und Elektroindustrie - diese Bereiche machten dann ca. 2/3 des japanischen Exports aus. Aber auch der Automobil- und Schiffsbau verzeichnete Exporterfolge. Die Japaner wussten die Produktivität ständig durch technische Innovationen zu steigern. Außerdem senkte die Bank of Japan seit 1982 beständig die Leitzinsen, der Diskontsatz fiel von 5,5% (1982) auf 2,5% (1987). Durch die hohen staatlichen Investitionsausgaben und die massive Senkung der Leitzinsen war Kapital zu extrem niedrigen Zinsen am Finanzmarkt zu bekommen. Der Aufschwung der Wirtschaft wurde dadurch verstärkt; gleichzeitig kam es durch die geldpolitischen Maßnamen zu einem Anstieg am Aktien- und Immobiliemarkt.
Als wichtiger Faktor wird auch die Börseneinführung des staatlichen Telekommunikationsunternehmens Nippon Telephone & Telegraph (NTT) im Jahr 1987 gesehen. Die Emission war ein voller Erfolg, und der Run führte zu Preissteigerungen nicht nur bei NTT, sondern auch bei anderen Aktien. 1988 überstieg der Wert von NTT denjenigen aller an sämtlichen deutschen Börsen notierten Inlandsaktien.

Durch die billigen Kredite und steigenden Aktienkursen wurden immer mehr Unternehmen dazu verleitet, vorhandenes Geld nicht im eigentlichen Geschäft, sondern am Finanzmarkt zu investieren. Insbesondere diejenigen Gesellschaften, deren Branchen (wie z.B. die Schwerindustrie) zunehmend an Bedeutung verloren, versuchten auf diese Weise die sinkenden Geschäftsgewinne auszugleichen. Als Kreditsicherheiten beliehen diese Unternehmen in der Regel ihren großen Immobilienbesitz. Das die Grundstückspreise ebenso stark gestiegen waren wie die Aktienkurse, kam ihnen dabei zugute.

Nun nahm der Boom gigantische Ausmaße an. Der Nikkei-225 - der Leitindex der Tokioter Börse - verdoppelte sich innerhalb von nur 3 Jahren: Anfang 1987 lag der Index bei 17.000 Punkten, Ende 1989 stand er bei 38.900 Punkten. Gleichzeitig war das Volumen der gehandelten Aktien von 120 Milliarden in 1983 auf 280 Milliarden in 1989 gestiegen. Auch der Immobilienmarkt blähte sich auf: der Preisindex für Wohnimmobilien in sechs großen Städten stieg von 5.800 Punkten im Jahr 1980 auf 20.600 Punkte in 1989. Niemand dachte daran, dass irgendwann einmal mit dieser Entwicklung Schluß sein musste, dass die Aufwärtsspirale irgendwann zu Ende war (um es zu verdeutlichen: alle japanischen Grundstückswerte - und Japan ist eine Insel - waren viermal so hoch bewertet wie die der gesamten Vereinigten Staaten; die Grundstückswerte des japanischen Kaiserpalastes in Tokio waren mehr wert als der Grund des US-Staates Kalifornien).

Im Hintergrund des Booms aber wucherten schon die Probleme. Durch die ständige Rationalisierung der Unternehmen wuchs die Arbeitslosigkeit. Viele Familien konnten sich aufgrund der gestiegenen Preise keine Wohnung mehr leisten und mussten mit ebenfalls teuren Mietwohnungen vorlieb nehmen, was wiederum die Kaufkraft einschränkte. Außerdem stieg die Staatsverschuldung stark an - im Jahr 1988 erreichte sie bereits die Hälfte des Bruttosozialprodukts. Allein die Tilgung der Zinsen erforderte damals fast ein Fünftel der Staatsausgaben.

Um die gewaltige Schuldenlast einzudämmen, reagierte die japanische Regierung mit einer Steuerreform, die durch die Einführung eine allgemeinen Mehrwertsteuer dem Staat Mehreinnahmen bescheren sollte. Außerdem versuchte die Bank of Japan mit verschiedenen geldpolitischen Mitteln, den Zugang zu neuen Krediten, insbesondere für Immobiliengeschäfte, zu erschweren. Darüber hinaus hob die Bank of Japan zur Abkühlung der Wirtschaft den Leitzins binnen 15 Monaten von 2,5% auf 6% an; gleichzeitig wurde die Höhe der Kreditsumme, die Banken für Immobiliengeschäfte ausgeben durften, beschränkt.

Die Maßnahmen zeigten alsbald Wirkung, der steile Aufwärtstrend des Nikkei wurde beendet. Die Blase an den japanischen Finanzmärkten zerplatzte - nicht mit einem lauten Knall, sondern langsam und in kleinen Schritten. Erste Gerüchte über Probleme im Finanzsektor kamen an die Öffentlichkeit. Bis dahin wurden nämlich Kredite ohne größere Überprüfung der Bonität und Sicherheit gewährt. Jetzt stellte sich heraus, dass ungedeckte Kredite durch phantasievolle Buchführung verschleiert wurden. Als dies bekannt wurde, verlor der Nikkei von Februar bis April 1990 10.000 Punkte auf einen Stand von 28.000 Punkten. Doch dies sollte erst der Anfang sein. Die Banken sperrten die Kreditvergabe. Dadurch war den Unternehmen der Weg zu dringend benötigten finanziellen Mitteln verschlossen - zahlreiche Insolvenzen waren die Folge. Zudem belasteten die weitern Zinserhöhungen (bis August 1990 auf 6%).

Auch auf den Immobilienmarkt hatte die fallende Börse einen bestimmenden Einfluss. Diejenigen Unternehmen, die ihre Kredite mit Grundstücken gesichert hatten, kamen in Schwierigkeiten und mussten Notverkäufe an Grundstücken vornehmen. Durch das gesteigerte Angebot fielen die Preise. 1996 lagen sie in den Städten über 50% unter den Höchstkursen.

Japan schlitterte unaufhaltsam in eine Rezession. Immer neue Horrormeldungen schockten die Börse, und die Bank of Japan war auch mit Leitzinssenkungen seit Mitte 1991 nicht mehr in der Lage, die Katastrophe zu verhindern.

10 Jahre nach dem Crash hat sich die japanische Wirtschaft immer noch nicht erholt (auch wenn inzwischen erste Silberstreifen am Horizont auftauchen). Der Nikkei notiert ca. 75% unter den Höchstkursen des Dezember 1989. Nach Schätzungen belasten immer noch "faule Kredite" in Höhe von ca. 550 Milliarden US-Dollar das japanische Finanzsystem. Weitere Verluste mussten die japanischen Banken verkraften durch die Abschläge an den europäischen und amerikanischen Börsen, die ihnen in ihren Portfolios aus ausländischen Vermögenswerten entstanden. Versuche der japanischen Zentralbank, durch weitere Zinssenkungen die Wirtschaft zu stimulieren, scheiterten kläglich, obwohl der Diskontsatz inzwischen nur mehr 0,1% beträgt. Ein Ende der Wirtschaftskrise ist jedoch trotz ermutigender Zeichen in der letzten Zeit noch immer nicht abzusehen.

zurück