1995 - Der Konkurs der Barings-Bank
von Carsten Lexa
20.08.2003

Die Barings-Bank wurde 1762 von zwei Söhnen einer holländischen Händlerfamilie als "John Francis Baring Company" gegründet - als erstes privates Handelshaus in London. 1806 wurde es in "Baring Brothers & Company" umfirmiert. 1890 geriet das Unternehmen aufgrund von fehlgeschlagenen Spekulationsgeschäften in den USA und Lateinamerika in eine bedrohliche Schieflage, wurde aber vor dem Konkurs gerettet durch die Unterstützung anderer Finanzhäuser. 1986 gründete das inzwischen wieder renommierte Unternehmen die Baring Future Pte Ltd. (Singapore) (BFS), um die Aktivitäten im asiatischen Wertpapiergeschäft zu verstärken. Genau diese Niederlassung führte in der Folgezeit zum Untergang der Barings-Bank. Schuld daran war ein Mann - Nick Leeson.

1967 geboren, war Leeson nach einem mittelmäßigen Schulabschluß zuerst Sekretär beim Bankhaus "Coutts & Co". 1987 wechselte er zu Morgan Stanley, wo er die Grundlagen der Buchführung im Wertpapierhandel erlernte. 1989 wurde Leeson im Abrechnungsbereich der Handelsabwicklung bei Barings eingestellt. Innerhalb von 10 Monaten reduzierte er dort die Wertpapieraußenstände um 90 Millionen Pfund und bekam aufgrund seiner so demonstrierten Fähigkeiten von Barings eine Stelle in Singapore im Bereich des Futurehandels angeboten. Leeson nahm die Stelle an und zog nach Südostasien.

Die BSF handelte an den Börsen in Singapur, Osaka und Tokio. Dazu war sie zu verschiedenen Handelsgeschäften von der Barings Securities Ltd. in London autorisiert worden. Neben Auftragstätigkeiten für Kunden oder andere Tochtergesellschaften der Barings-Bank war ihr auch der Eigenhandel in Form von Arbitragegeschäften in Futures erlaubt. Auch bei hohen Kundenorders durfte die Bank Einnahmen machen. Andere Möglichkeiten des Handels sowie der Versuch der Gewinnerzielung waren dagegen untersagt.

Kurz nach seiner Ankunft unterlief einem Angestellten Leesons ein Fehler. Um diesen zu korrigieren, eröffnete Leeson ein internes Konto mit der Nummer 88 888, welches er der Singapore International Monetary Exchange (kurz: SIMEX) gegenüber als Kundenkonto deklarierte, aber gleichzeitig von den regelmäßigen Meldungen an die Zentrale in London ausschloß. Kurze Zeit später konnte Leeson den Fehler seines Angestellten ausgleichen; das Konto aber nutzte er von nun an für seine unerlaubten Geschäfte und Spekulationen.

Anfang 1994 stieg Leeson als Generaldirektor für den Futurehandel in die Führungsetage auf. Im Unternehmen war er ein beliebter Mann, denn die zusätzlichen Gehälter, die ihm seine Erfolge zwischen 1993 und 1994 einbrachten, schüttete er zum Teil an die Belegschaft aus. 1993 vergrößerte Leeson die Gewinne der Barings-Tochter von 2 auf 20 Millionen US-Dollar (wohl auch bedingt durch den in Asien herrschenden Aufwärtstrend an den Börsen). Doch auch 1994 schloss er das Jahr mit Gewinn ab, obwohl die asiatischen Märkte einen Rücksetzer hinnehmen mussten.

Bis 1994 war Leeson mehrmals mit seinem geheimen Konto ins Minus geraten, konnte aber die Verluste immer wieder durch gutes Gespür für den Verlauf der Märkte ausgleichen. Durch diese Bestätigung seiner "Spürnase" und aufgrund seiner anderen - unbestreitbaren - Erfolge beflügelt, investierte er immer weiter und mit immer größeren Summen. Um an die nötigen finanziellen Mittel zu gelangen, war ihm nahezu jedes Mittel recht. So wies er seine Mitarbeiter an, geschlossene Kontrakte derart zu manipulieren, dass Kauf- und Verkaufkontrakte saldiert wurden. Dadurch kam es zu einer Reduzierung der Einschüsse an der SIMEX für die gehandelten Papiere. Außerdem transferierte er Geld aus dem Geschäftsverkehr der BFS auf sein Geheimkonto.

Ende 1994 drohte die Aufdeckung seiner illegalen Machenschaften. Die Einschüsse auf Wertpapiere, die zentral von London aus koordiniert wurden, waren aufgrund von Spekulationen von 39 Millionen (Anfang 1994) auf 221 Millionen Pfund (Ende 1994) angewachsen. Darüber hinaus wies das Geheimkonto eine Verlustposition in Höhe von 50 Millionen auf. Um seine Machenschaften zu vertuschen, gab Leeson den Verlust als Forderung gegen ein Unternehmen aus. Gleichzeitig machte er Falschaussagen und täuschende Statements gegenüber den Wirtschaftsprüfern und den Barings-Gremien. Schließlich gaukelte er Anfang Februar 1995 durch erneute Manipulation den Erhalt des Geldes vor. Die Entdeckung seiner Machenschaften war vorerst abgewendet. In der Realität blieben die Verlustpositionen natürlich bestehen und raubten Leeson den Schlaf.

Im Januar 1995 dann war Leeson der Ansicht, seine Verluste mit einem vermeintlich sicheren Geschäft kompensieren zu können. Am 17. Januar 1995 wurde Japan von einem Erdbeben der Stärke 7,2 auf der Richterskala heimgesucht. Innerhalb von 20 Sekunden wurden weite Teile der Stadt Kobe zerstört, es gab mehr als 4.000 Tote und über 300.000 Obdachlose. Ein Großfeuer zerstörte über 100 Hektar der Stadt; der Sachschaden aus dem Beben belief sich auf über 100 Milliarden Euro. Die Börsen reagierten sofort. Alle großen Indizes hatten Verluste zu verbuchen, der Nikkei-225 die größten, er verlor zwischen dem 13. und dem 23. Januar fast 8% und fiel unter 19.000 Punkte. Leeson war der Meinung, dass sich der Index wieder erholen würde: aktuelle Konjunkturdaten deuteten eine leichte wirtschaftliche Erholung in Japan an, und außerdem stand der Nikkei seit Anfang 1994 - bis auf einen kleinen Ausrutscher im November 1994 - immer oberhalb der Marke von 19.000 Punkten. Leeson kaufte deshalb zunächst 10.000 Future-Kontrakte mit Fälligkeit März.

Wider Erwarten fielen die Kurse jedoch weiter. Um die weiteren Verluste ausgleichen zu können, musste Leeson immer höhere Risiken eingehen. Er kaufte also weiter, hielt Anfang Februar 30.000 der obigen Kontrakte, Mitte Februar 40.000, und Ende Februar 61.039 Future-Kontrakte. Der Nikkei stand zu diesem Zeitpunkt bei 17.000 Punkten. Daneben tätigte er Fehlinvestments in Japanese-Government-Bond-Futures, Euro-Yen-Futures und Optionen auf den Nikkei-Index-Futures. Insgesamt belief sich der Verlust auf 619 Millionen britische Pfund. Er war so hoch, dass Leeson Ende Februar nicht mehr in der Lage war, die fälligen Einschüsse für die Sicherheitsmargen an die betreffenden Börsen aufzubringen.

Da Leeson keine Möglichkeit mehr sah, seine Verluste zu kompensieren oder zu vertuschen, beschloss er, unterzutauchen. Kurz nach seinem Verschwinden wurden dann die Verluste entdeckt - Barings war pleite. Am 27. Februar musste das Traditionshaus den Handel einstellen und Vergleich beantragen. Im März wurde die Bank von der niederländischen ING Groep übernommen, welche sie als ING Barings in den Konzern eingliederte.

Einige Tage nach seiner Flucht wurde Leeson in Frankfurt verhaftet und am 23. November 1995 nach Singapur ausgeliefert. Er wurde wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu 6,5 Jahren Gefängnisverurteilt. Wegen guter Führung wurde er am 3. Juli 1999 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Seine Erlebnisse hat Leeson in dem Buch "Rouge Trader" / "DasMilliardenspiel" niedergeschrieben. Gleichzeitig wurde seine Geschichte in dem Film "High Speed Money" verewigt

Der Nikkei fiel in der Folgezeit sogar noch unter 10.000 Punkte……

zurück