"Der
Krieg ist vorbei" war vielerorts zu lesen und zu hören.
Aber ist er es wirklich? Nur weil die Amerikaner vor einem riesigen
Weltpublikum am Fernsehschirm eine Statue des irakischen Diktators
mit einem Bergepanzer vom Sockel gerissen haben? In Saddam-City,
wo zwischen zwei und drei Millionen, großteils schiitische
Iraker in Armut leben, fand diese "Befreiung" statt. Doch
so, wie die Statue erst nach mehreren Stunden vom Sockel geholt
werden konnte, könnte auch das weitere Kriegsszenario aussehen.
Vor
dem Beginn des Krieges war immer zu hören und zu lesen, von
beiden Seiten übrigens, dass die Hauptstadt Bagdad der wohl
umkämpfteste Ort im Irak sein werde. Mehrere Millionen Einwohner
warteten angeblich nur darauf, den amerikanisch-zionistischen Feinden
entgegentreten zu können. Ein blutiger, menschenzerschleißender
Häuserkampf wurde erwartet. "Bagdad wird das amerikanische
Stalingrad", tönten irakische Politiker. Nichts von alledem
ist eingetreten. Um es mit Wowereit zu sagen: "Und das ist
gut so."
Bagdad
scheint eingenommen. Es waren zwar Bilder von jubelnden Menschen
zu sehen, diese waren jedoch meistens jung. Die älteren Iraker
hielten sich merklich zurück. Viele Fernsehteams interviewten
dann Hussein-Gegner, Leute die froh sind, dass der Diktator weg
ist. Aber was ist mit seinen Millionen Unterstützern? Mit seinen
Anhängern, seinen Verbündeten? Den 10.000 Gotteskämpfern,
die sich für ihn als Selbstmordattentäter verdingen sollten
bzw. wollten? Das Springer-Blatt "Die Welt" verglich die
Situation in Bagdad mit dem 1989er Szenarien in Berlin, Warschau,
Prag und Budapest. Aber das halte ich persönlich für historisch
falsch und reißerisch. Damals fand ein friedlicher Umschwung
statt. Es musste keiner sterben. Es wurde kein "präventiver
Angriffskrieg" geführt, um z.B. die Ostdeutschen "zu
befreien" und ihnen die dann folgende "Kohlsche Demokratie"
zu schenken. Insofern haben die Stimmen recht, die vor genau der
jetzigen Situation im Irak gewarnt haben. Eine Demokratie muss von
den Bürgern, von innen heraus, wachsen und darf nicht von außen
aufgepflanzt werden. Ein Iraker sagte dann auch prompt in die Kamera,
dass man den Amerikanern danken muss für die Befreiung, aber
deshalb dürften diese nicht den Irak besetzt halten. Ein Stationierung
von Truppen, wie beispielsweise nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland
oder Japan ist damit ausgeschlossen. Ähnliches war auch von
Peter Scholl-Latour zu hören, der lange vor dem Einmarsch der
Amerikaner in Bagdad vor der Situation nach dem Kriegsende warnte.
Eine Demokratie sei nicht so einfach installierbar in einem islamischen
Land. Das "demokratischste" islamische Land sei derzeit
der Iran. Die Türkei hat mehrere Jahrzehnte und einen "absolutistischen"
Atatürk gebraucht, um halbwegs demokratisch zu werden. Egal
ob nun in Ägypten, Jordanien, Syrien, Saudi-Arabien usw., in
all diesen Ländern ist eine "Herrscherfamilie" am
Werk, die vom Ausland gestützt wird. Nirgendwo, bis auf den
Iran, seien deshalb im islamischen Raum demokratische Verhältnisse
zu erkennen. Demokratie wie sie der Westen kennt, sowieso nicht.
Bush
und Rumsfeld meinten gleich nach dem fast unblutigen Einmarsch in
Bagdad, wenn man einmal von ein paar toten Journalisten absieht,
dass der Krieg noch geraume Zeit dauern könne. Und da werden
sie wohl oder übel Recht behalten. Neben Saddams Geburtsstadt
Tikrit sind auch die beiden nördlichen Ölstädte Mossul
und Kirkuk hart umkämpft. Auch in Basra herrscht noch keine
absolute Ruhe. Die Briten bemühen sich zwar, aber auch hier
zeigt sich vor allen Dingen die ältere Bevölkerung misstrauisch.
Besonders die kurdischen Peschmerga-Kämpfer im Norden, wieder
einmal von den Amerikanern ausgerüstet und als eine Art afghanische
Nord-Allianz fungierend, könnten ein Problem für eine
Nachkriegsordnung im Irak darstellen. Während die Türken
keinen kurdischen Staat im Norden des Irak wollen, der auch noch
über gehörige Ölvorräte verfügen könnte,
streben die Kurden schon seit mehreren Jahren und Jahrzehnten genau
dies an. Mit den nun von den Amerikanern erhaltenen Waffen könnte
sich durchaus eine Verlagerung des Krieges andeuten. Die Chance
zur Unabhängigkeit war noch nie so groß für die
Kurden. Fraglich ist dann nur, wie sich die Türken verhalten
werden. Und auch die Amerikaner werden wohl kaum ihre neugewonnene
Ölmacht so mir nichts, dir nichts aus den Händen geben.
Auch ein interner Nato-Konflikt wäre daraus abkeitbar.
Das
ist jedoch nicht das einzige Problem. Nun steht die Versorgung der
irakischen Bevölkerung im Vordergrund. Der Hunger und die Nöte
sind zwar nicht vergleichbar mit denen mancher afrikanischer Völker
derzeit, trotzdem kann es recht schnell, dank der großen Bevölkerungsmassen
zu Unruhen kommen, sollte nicht genug Nahrung und Wasser vorhanden
sein. Die Amerikaner haben sehr deutlich versucht, die lebensnotwendige
Infrastruktur im Krieg zu verschonen, ganz im Gegensatz zum 1. Golfkrieg.
Gelungen ist ihnen das aber nur zum Teil.
Das
größte Problem stellt jedoch noch immer Saddam Hussein
dar. Denn er ist verschwunden. Man vermutet ihn zwar im Norden des
Landes, aber genaues weiß man nicht. Es könnte also dasselbe
Szenario entstehen, wie bei Usama Bin Ladin. Ausgezogen war man
ja, um Saddam Hussein zu vernichten. Dieses oberste Kriegsziel steht
noch in den Sternen. Auch die Vernichtung von allen Massenvernichtungswaffen
dürfte schwierig sein, wenn man keine findet. Es häufen
sich zwar die Meldungen, dass die Soldaten irgendwo irgendwelche
Fässer finden, aber am Ende stellte sich bisher immer heraus,
dass nicht das darin enthalten war, was man vermutete. Kürzlich
bekamen Soldaten Hauausschlag auf Pflanzenschutzmittel. Die Rechtfertigung
des Krieges, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen und
würde die nur zu gern auf amerikanischen Boden einsetzen (wie
das auch immer hätte geschehen sollen), ist keine mehr bzw.
ist nie eine gewesen. Jetzt, wo Hussein direkt mit dem Rücken
zur Wand steht, wäre es nur allzu logisch, falls er Massenvernichtungswaffen
besäße, diese zum Einsatz zu bringen. Aber bisher bleibt
es ruhig, was die Vermutung erhärtet, dass er nichts mehr von
all dem Teufelszeug besitzt, was ihm die Amerikaner zur Verfügung
gestellt haben, als er gegen den Iran kämpfte. Wundern würde
es mich jedoch nicht, wenn die Amerikaner trotzdem, ganz plötzlich
über ein paar Fässer biologische oder chemische Kampfstoffe
stolpern, auf deren Fässern dann noch ziemlich gut lesbar als
Herkunftsland Syrien, Iran oder auch Frankreich bzw. Deutschland
zu lesen ist. Zum einen könnte man so einen weiteren Kriegseinsatz
rechtfertigen und zum anderen hätte man die bisherigen Kriegsgegner
in der Ecke wo man sie haben will. Es wäre nicht das erste
Mal, dass Amerika zu solcherlei Mitteln greift. Es ist allerdings
nur eine von mir aufgestellte Hypothese.
Meiner
Meinung nach ist der Krieg auch noch nicht vorbei. Noch lange nicht.
Leider. Der Sommer kommt und damit die vielgefürchtete Hitze.
Sollte der Wiederaufbau der Versorgungsinfrastruktur nicht sehr
schnell gelingen, könnte sich das Blatt sehr zugig gegen die
anglo-amerikanischen "Befreier" wenden. Eine wütende
Bevölkerung ist manchmal zu mehr fähig, als eine bezahlte
Armee. Bürgerkriegsähnliche Zustände stünden
dann bevor.
Zu
hoffen bleiben also drei Dinge:
- Die
Amerikaner dürfen anhand des relativ schnellen Obsiegens
sich nicht zu weiteren Präventivkriegen gegen ihnen nicht
wohlgesonnene Staaten hinreißen lassen. Egal ob die nun
Syrien, Iran oder Nordkorea heißen.
- Eine
noch immer drohende humanitäre Katastrophe tritt nicht ein.
- Es
wird endlich eine Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes
in der Weltbevölkerung angestrebt. Denn hier liegt das wirkliche
Problem im Nahen Osten. Die Amerikaner tragen auch hier ein gehöriges
Stück Mitverantwortung.
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