Fragt
man die Tibet-Initiative Deutschland nach einem Grund, warum China
nicht von Tibet lassen will, so erhält man folgende verblüffende
Antwort: "Im tibetanischen Hochland entspringen die zehn größten
Flusssysteme Asiens, welche in ihrem Unterlauf die am dichtesten
besiedelte Region der Erde versorgen: neben China, Indien und Pakistan
auch Nepal, Bhutan, Bangladesh, Vietnam, Burma, Kambodscha, Laos
und Thailand. Sie alle sind zum Überleben auf die vom tibetanischen
Plateau herabfließenden Flüsse angewiesen." Dabei
muss man bedenken, dass in den oben genannten 11 Ländern 47%
der Weltbevölkerung leben. Tibet - also China - könnte
sie alle mit gigantischen Umlenkkanälen buchstäblich aufs
Trockene setzen (und China war in der Vergangenheit bei solchen
Maßnahmen nicht gerade als zimperlich bekannt).
Aber nicht nur diesem Volk wird wegen des Wassers die Selbstbestimmung
vorenthalten, auch beispielsweise die Kurden sitzen zu dicht an
den Quellen. Ihr Land könnte die Wasserzufuhr in weiten Teilen
der Türkei, Syriens, des Irak und Iran kontrollieren. Keiner
dieser Staaten will seinen Kurden eigene Macht zubilligen.
Auch
ohne eigenen Kurdenstaat ist die Wasserlage in Vorderasien kompliziert
genug. Die Türkei nämlich beherrscht die Oberläufe
von Euphrat und Tigris. Von diesen beiden Flüssen hängt
Syrien zum größten Teil und der Irak fast vollständig
ab. Das allerdings kümmert die Türkei ziemlich wenig:
Sie betreibt ein riesiges Wasserprojekt mit 22 Staudämmen und
19 Kraftwerken. Damit soll eine Fläche so groß wie Sachsen
bewässert, und mehr Strom als aus zwei großen Kernkraftwerken
gewonnen werden. Schon allein mit dem geplanten Ilisu-Damm könnte
sie das Zweistromland mehrere Monate völlig trocken legen.
Völkerrechtlich gesehen ist nichts zu machen - jedes Land darf
einem anderen das Wasser abgraben (obwohl im Völkerrecht das
Gebot der nachbarstaatlichen Rücksichtnahme anerkannt, aber
nicht von allen Staaten akzeptiert ist). Der ehemalige türkische
Staatspräsident Demirel meint dazu: "Mit dem Wasser ist
es wie mit dem Öl. Wer an der Quelle sitzt, hat ein Recht,
das ihm niemand streitig machen kann." Zwar existiert seit
1997 ein UNO-Übereinkommen zu grenzüberschreitenden Wasserwegen.
Allerdings fühlen sich drei bestimmte Länder nicht daran
gebunden: China (mit dem wassermächtigen Tibet), das afrikanische
Land Burundi und eben die Türkei. Diese drei Länder mochten
nicht einmal dem Passus in dem Übereinkommen zustimmen, nach
dem jedes Land seine Nachbarn über größere Eingriffe
wenigstens informieren muss.
Demgegenüber
werden - als positives Beispiel - auch ab und an zwischen Staaten
völkerrechtliche Verträge im Interesse einer sicheren
Wasserversorgung geschlossen: etwa zwischen den verfeindeten Staaten
Indien und Pakistan mit dem Indus-Abkommen von 1960 (13 Jahre zuvor
hatten diese beiden Länder um die Rechte am Fluss noch Krieg
geführt). Daneben gibt es ein Jordan-Abkommen zwischen Israel
und Jordanien, sowie im 20. Jahrhundert ein Abkommen für den
Nil zwischen Ägypten, Äthiopien und dem Sudan.
Wie
man sieht wird das Wasser als Konfliktstoff immer brisanter. Über
50 große Flusssysteme weltweit berühren mehrere Länder.
Und der Wasserverbrauch der Menschen wächst. Mehr als zwei
Drittel des kostbaren Nasses fließen allerdings nicht in die
menschlichen Kehlen, sondern werden weltweit zum Bewässern
landwirtschaftlicher Flächen benötigt.
Es
wird also deutlich: Wasser wird eine immer größere Rolle
spielen bei den politischen Auseinandersetzungen zwischen nachbarlichen
Staaten. Wer auf Wasserreserven zugreifen kann, verfügt über
große Macht. Es gibt deshalb nicht wenige, die der Meinung
sind, die nächsten Kriege werden nicht um das Öl geführt,
sondern um Wasser.
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