Campis Corner: Staats- und Privatschulden
von Thomas Badtke
18.08.2003

Moin,

vor kurzem hat der amerikanische Autobauer General Motors eine Anleihe begeben. Nichts besonderes, denkt man da. Das geschieht doch heute laufend. Jedes große Unternehmen macht das. Sicher. Aber bei einem Schuldenstand von sage und schreibe 202 Mrd. US-Dollar sollte man selbst beim größten Automobilhersteller der Welt hellhörig werden. Jeder US-Dollar Eigenkapital von General Motors ist mit 29,63 US-Dollar Schulden "gedeckt". Zum Vergleich hierzu: Das "bankrotte" Argentinien hatte lediglich etwas mehr als 180 Mrd. US-Dollar Schulden. Oder noch besser: Die GM-Schulden übersteigen den addierten Schuldenstand folgender Länder:

- Kanada,
- Österreich,
- Ungarn,
- Belgien,
- Holland,
- Schweiz,
- Tschechien,
- Finnland,
- Norwegen
- Irland
- Dänemark,
- sowie vier weiterer europäischer Länder.

Hieran ist leicht zu erkennen, welchen Stellenwert öffentliche (Staats-) Schulden im Gegensatz zu privaten Schulden besitzen. Diese zwei Schuldenkategorien sind die vorherrschenden im angelsächsischen Wirtschaftsraum. Staatsschulden bzw. öffentliche Schulden gelten bei weitem als das größere Übel, auch wenn sie die Wirtschaftskraft und durch die Verbesserung der Infrastruktur auch langfristig die Steuerkraft des Volkes erhöhen (sollen). Negativ betrachtet sollen öffentliche Schulden den Zinssatz in die Höhe treiben, private Investitionen verdrängen und gelten darüber hinaus als Indikator für die ausufernde Einflussnahme des Staates. In einer globalisierten Wirtschaftswelt stellen sie ein Graus dar und sind als kontraproduktiv anzusehen. Das ist die auch in den deutschen Universitäten vorherrschende Meinung. Nicht umsonst wird auf die berühmten drei Prozent Nettoneuverschuldung immer wieder hingewiesen, die zu den EU-Stabilitätskriterien zählen. Ansonsten, so meinen die Architekten des Euro, sei die Geldwertstabilität in Gefahr.

Private Verschuldung indes gilt regelrecht als Vertrauensbeweis. Zukünftige steigende Gewinne und somit auch steigende Einkommen werden mit ihnen assoziiert. Dabei ist es egal ob ein Unternehmen, wie z. B. General Motors seine Schuldenlast erhöht, oder Herr Müller bzw. Mr. Smith von nebenan. Besonders letzterem gebiert im anglo-amerikanischen Wirtschaftsbereich eine wichtige Rolle. Kreditkartenschulden und Konsumkredite, sowie Hypothekenkredite erlauben es Mr. Smith, seine Verbrauchsausgaben auch dann noch auszuweiten, wenn sein Einkommen stagniert oder sogar bereits schrumpft. Sollte dann trotzdem mal das Geld knapp werden, ist die Zentralbank an der Reihe und sorgt mit Zinssenkungen wieder für einen gewissen Spielraum beim Schuldenrausch. Was aber passiert, wenn die Zinsen wieder erhöht werden???

Bereits Ende Juni veröffentlichte die Bank of England Zahlen zu diesem Thema. Die Neuverschuldung in Großbritannien lag Mitte der 90er Jahre noch bei Werten von zwei bis drei Mrd. Pfund im Monat. Nunmehr hat sich dieser Wert vervierfacht. Um mehr als zehn Mrd. Pfund monatlich steigt die private Neuverschuldung. Dabei entfallen etwa 2,2 Mrd. Pfund auf Konsumkredite und 7,8 Mrd. Pfund auf Hypothekenschulden. Während das Wirtschaftswachstum sich bei Werten um 0,3 Prozent für die ersten beiden Quartale bewegte, wächst die private Verschuldung um 14 Prozent per anno. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf nahezu 900 Mrd. Pfund. Der durchschnittliche Haushalt in Großbritannien ist deshalb mit 45.000 Pfund, etwa 63.000 Euro verschuldet. Dies entspricht etwa 130 Prozent des durchschnittlichen verfügbaren Jahreseinkommens. Trotz niedriger Zinsraten stieg die Zahl der privaten Bankrotte im zweiten Quartal auf ein Neun-Jahres-Hoch: um 14 Prozent.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich in "Gods-own-country", den Vereinigten Staaten von Amerika ab. Seit Ende der 90er Jahre wächst dort die private Verschuldung um rund zwei Bill. US-Dollar pro Jahr. Die Wirtschaft konnte selbst in den Boomjahren zum Ende des vergangenen Jahrtausends lediglich um ein paar hundert Mrd. US-Dollar im Jahr wachsen. Zu den privaten zwei Billionen US-Dollar Neuverschuldung kommen in diesem Jahr bereits knapp 500 Mrd. US-Dollar neue Staatsschulden hinzu, die zum Großteil aus der Bushschen Wirtschaftspolitik resultieren. Steuersenkungen für Besserverdienende fressen einen Großteil dieser Steuersenkungen auf (vgl. hierzu auch den Artikel: "Amerika und seine Steuern"). Auch in Amerika stellen die Hypothekenschulden den größten Privatschuldenteil dar. Von 1985 bis 1997 bewegte sich die Neuverschuldung bei Hypotheken um jährliche 200 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2000 waren es bereits 375 Mrd. US-Dollar. Noch ein Jahr später stieg der Wert auf nunmehr 480 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2002 waren es dann 667 Mrd. US-Dollar. Den bisherigen Höhepunkt erreicht man in diesem Jahr. Mit 723 Mrd. US-Dollar Neuschulden durch Hypotheken wird gerechnet. Die privaten Gesamtschulden belaufen sich auf 8.776 Mrd. US-Dollar (8.776.000.000.000!!!). Die Verschuldung der amerikanischen Haushalte beträgt im Schnitt 104 Prozent des verfügbaren Einkommens. Den jährlichen Schuldendienst beziffert man auf 14 Prozent. Da verwundern auch die 1,6 Mill. Gläubigerschutzanträge nicht, die in den vergangenen zwölf Monaten bis zum März diesen Jahres gestellt wurden. Und das obwohl die Hypothekenzinsen so niedrig sind, wie seit fünfzig Jahren nicht mehr.

Unter diesem Blickwinkel sieht man auch das unangetastet Lassen der Zinsen von Alan Greenspan unter einem anderen Licht. Denn obwohl die Zinsen auf einem historisch niedrigem Niveau belassen wurden, steigen die Marktzinsen für langfristige Schulden bei Regierungs- und Hypothekenanleihen. Die mittlere Zinsrate für 30jährige Hypotheken stieg innerhalb nur eines Monats von knapp fünf Prozent auf nunmehr 6,37 Prozent.

Zum Vergleich die Situation in Deutschland. Hier sieht die Sachlage etwas anders aus. Zum einen sind die Zahlen von Eigenheim-Neubaus seit mehreren Jahren rückläufig, zum anderen versucht der Deutsche an sich, seine Hypothekenschulden nicht ausufern zu lassen, sondern sie so schnell wie irgend möglich wieder abzubauen und zurückzuzahlen. So sank die jährliche Neuverschuldung der privaten Haushalte in Deutschland von 80 Mrd. Euro in den 90ern auf 17 Mrd. Euro im Jahr 2002. Trotzdem belaufen sich die privaten Gesamtschulden auf 1,54 Bill. Euro oder umgerechnet 39.600 Euro pro Haushalt, was rund 111 Prozent des durchschnittlichen verfügbaren Jahreseinkommens entspricht.

Die Fülle der obigen Zahlen soll eins verdeutlichen. Schulden gelten heute vielerorts als "chic". Es ist normal Schulden zu haben. Trotzdem stellt es einen großen Unterschied dar, ob man als Staat oder als Privatmann bzw. Unternehmer Schulden hat. Auf die Unterscheidung in einzelne Wirtschaftsregionen wurde zum Großteil verzichtet. Das Beispiel Argentiniens im Vergleich mit dem Schuldenstand bei GM soll dahingehend ausreichen. Während Staatsschulden überwacht und reglementiert werden, stellen private Schulden kein Problem dar. Das kann sich jedoch sehr schnell ändern, wenn der Ernst der Lage sich weiter steigern sollte. Die New-Economy-Blase ist im Nachhinein betrachtet nahezu lautlos geplatzt. Sollte die Hypothekenblase in Amerika oder in Großbritannien platzen, könnte das Schreien, Wehklagen und Lamentieren um einiges heftiger und lauter ausfallen.

Ciao,
Euer Campi

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