Moin,
vor
kurzem hat der amerikanische Autobauer General Motors eine
Anleihe begeben. Nichts besonderes, denkt man da. Das geschieht
doch heute laufend. Jedes große Unternehmen macht das. Sicher.
Aber bei einem Schuldenstand von sage und schreibe 202 Mrd. US-Dollar
sollte man selbst beim größten Automobilhersteller der
Welt hellhörig werden. Jeder US-Dollar Eigenkapital von General
Motors ist mit 29,63 US-Dollar Schulden "gedeckt". Zum
Vergleich hierzu: Das "bankrotte" Argentinien hatte lediglich
etwas mehr als 180 Mrd. US-Dollar Schulden. Oder noch besser: Die
GM-Schulden übersteigen den addierten Schuldenstand folgender
Länder:
-
Kanada,
- Österreich,
- Ungarn,
- Belgien,
- Holland,
- Schweiz,
- Tschechien,
- Finnland,
- Norwegen
- Irland
- Dänemark,
- sowie vier weiterer europäischer Länder.
Hieran
ist leicht zu erkennen, welchen Stellenwert öffentliche (Staats-)
Schulden im Gegensatz zu privaten Schulden besitzen. Diese zwei
Schuldenkategorien sind die vorherrschenden im angelsächsischen
Wirtschaftsraum. Staatsschulden bzw. öffentliche Schulden
gelten bei weitem als das größere Übel, auch wenn
sie die Wirtschaftskraft und durch die Verbesserung der Infrastruktur
auch langfristig die Steuerkraft des Volkes erhöhen (sollen).
Negativ betrachtet sollen öffentliche Schulden den Zinssatz
in die Höhe treiben, private Investitionen verdrängen
und gelten darüber hinaus als Indikator für die ausufernde
Einflussnahme des Staates. In einer globalisierten Wirtschaftswelt
stellen sie ein Graus dar und sind als kontraproduktiv anzusehen.
Das ist die auch in den deutschen Universitäten vorherrschende
Meinung. Nicht umsonst wird auf die berühmten drei Prozent
Nettoneuverschuldung immer wieder hingewiesen, die zu den EU-Stabilitätskriterien
zählen. Ansonsten, so meinen die Architekten des Euro, sei
die Geldwertstabilität in Gefahr.
Private
Verschuldung indes gilt regelrecht als Vertrauensbeweis. Zukünftige
steigende Gewinne und somit auch steigende Einkommen werden mit
ihnen assoziiert. Dabei ist es egal ob ein Unternehmen, wie z. B.
General Motors seine Schuldenlast erhöht, oder Herr Müller
bzw. Mr. Smith von nebenan. Besonders letzterem gebiert im anglo-amerikanischen
Wirtschaftsbereich eine wichtige Rolle. Kreditkartenschulden und
Konsumkredite, sowie Hypothekenkredite erlauben es Mr. Smith, seine
Verbrauchsausgaben auch dann noch auszuweiten, wenn sein Einkommen
stagniert oder sogar bereits schrumpft. Sollte dann trotzdem mal
das Geld knapp werden, ist die Zentralbank an der Reihe und sorgt
mit Zinssenkungen wieder für einen gewissen Spielraum beim
Schuldenrausch. Was aber passiert, wenn die Zinsen wieder erhöht
werden???
Bereits
Ende Juni veröffentlichte die Bank of England Zahlen zu diesem
Thema. Die Neuverschuldung in Großbritannien lag Mitte der
90er Jahre noch bei Werten von zwei bis drei Mrd. Pfund im Monat.
Nunmehr hat sich dieser Wert vervierfacht. Um mehr als zehn Mrd.
Pfund monatlich steigt die private Neuverschuldung. Dabei entfallen
etwa 2,2 Mrd. Pfund auf Konsumkredite und 7,8 Mrd. Pfund auf Hypothekenschulden.
Während das Wirtschaftswachstum sich bei Werten um 0,3 Prozent
für die ersten beiden Quartale bewegte, wächst die private
Verschuldung um 14 Prozent per anno. Das Gesamtvolumen beläuft
sich auf nahezu 900 Mrd. Pfund. Der durchschnittliche Haushalt in
Großbritannien ist deshalb mit 45.000 Pfund, etwa 63.000 Euro
verschuldet. Dies entspricht etwa 130 Prozent des durchschnittlichen
verfügbaren Jahreseinkommens. Trotz niedriger Zinsraten stieg
die Zahl der privaten Bankrotte im zweiten Quartal auf ein Neun-Jahres-Hoch:
um 14 Prozent.
Ein
ähnliches Bild zeichnet sich in "Gods-own-country",
den Vereinigten Staaten von Amerika ab. Seit Ende der 90er Jahre
wächst dort die private Verschuldung um rund zwei Bill. US-Dollar
pro Jahr. Die Wirtschaft konnte selbst in den Boomjahren zum Ende
des vergangenen Jahrtausends lediglich um ein paar hundert Mrd.
US-Dollar im Jahr wachsen. Zu den privaten zwei Billionen US-Dollar
Neuverschuldung kommen in diesem Jahr bereits knapp 500 Mrd. US-Dollar
neue Staatsschulden hinzu, die zum Großteil aus der Bushschen
Wirtschaftspolitik resultieren. Steuersenkungen für Besserverdienende
fressen einen Großteil dieser Steuersenkungen auf (vgl. hierzu
auch den Artikel: "Amerika
und seine Steuern"). Auch in Amerika stellen die Hypothekenschulden
den größten Privatschuldenteil dar. Von 1985 bis 1997
bewegte sich die Neuverschuldung bei Hypotheken um jährliche
200 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2000 waren es bereits 375 Mrd. US-Dollar.
Noch ein Jahr später stieg der Wert auf nunmehr 480 Mrd. US-Dollar.
Im Jahr 2002 waren es dann 667 Mrd. US-Dollar. Den bisherigen Höhepunkt
erreicht man in diesem Jahr. Mit 723 Mrd. US-Dollar Neuschulden
durch Hypotheken wird gerechnet. Die privaten Gesamtschulden belaufen
sich auf 8.776 Mrd. US-Dollar (8.776.000.000.000!!!). Die Verschuldung
der amerikanischen Haushalte beträgt im Schnitt 104 Prozent
des verfügbaren Einkommens. Den jährlichen Schuldendienst
beziffert man auf 14 Prozent. Da verwundern auch die 1,6 Mill. Gläubigerschutzanträge
nicht, die in den vergangenen zwölf Monaten bis zum März
diesen Jahres gestellt wurden. Und das obwohl die Hypothekenzinsen
so niedrig sind, wie seit fünfzig Jahren nicht mehr.
Unter
diesem Blickwinkel sieht man auch das unangetastet Lassen der Zinsen
von Alan Greenspan unter einem anderen Licht. Denn obwohl die Zinsen
auf einem historisch niedrigem Niveau belassen wurden, steigen die
Marktzinsen für langfristige Schulden bei Regierungs- und Hypothekenanleihen.
Die mittlere Zinsrate für 30jährige Hypotheken stieg innerhalb
nur eines Monats von knapp fünf Prozent auf nunmehr 6,37 Prozent.
Zum
Vergleich die Situation in Deutschland. Hier sieht die Sachlage
etwas anders aus. Zum einen sind die Zahlen von Eigenheim-Neubaus
seit mehreren Jahren rückläufig, zum anderen versucht
der Deutsche an sich, seine Hypothekenschulden nicht ausufern zu
lassen, sondern sie so schnell wie irgend möglich wieder abzubauen
und zurückzuzahlen. So sank die jährliche Neuverschuldung
der privaten Haushalte in Deutschland von 80 Mrd. Euro in den 90ern
auf 17 Mrd. Euro im Jahr 2002. Trotzdem belaufen sich die privaten
Gesamtschulden auf 1,54 Bill. Euro oder umgerechnet 39.600 Euro
pro Haushalt, was rund 111 Prozent des durchschnittlichen verfügbaren
Jahreseinkommens entspricht.
Die
Fülle der obigen Zahlen soll eins verdeutlichen. Schulden gelten
heute vielerorts als "chic". Es ist normal Schulden zu
haben. Trotzdem stellt es einen großen Unterschied dar, ob
man als Staat oder als Privatmann bzw. Unternehmer Schulden hat.
Auf die Unterscheidung in einzelne Wirtschaftsregionen wurde zum
Großteil verzichtet. Das Beispiel Argentiniens im Vergleich
mit dem Schuldenstand bei GM soll dahingehend ausreichen. Während
Staatsschulden überwacht und reglementiert werden, stellen
private Schulden kein Problem dar. Das kann sich jedoch sehr schnell
ändern, wenn der Ernst der Lage sich weiter steigern sollte.
Die New-Economy-Blase ist im Nachhinein betrachtet nahezu lautlos
geplatzt. Sollte die Hypothekenblase in Amerika oder in Großbritannien
platzen, könnte das Schreien, Wehklagen und Lamentieren um
einiges heftiger und lauter ausfallen.
Ciao,
Euer Campi
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