| Der 
              König ist tot - es lebe der König. So oder ähnlich 
              klingt es in Italiens Gazetten in den letzten Tagen. Jede Tageszeitung, 
              jede Zeitschrift, die etwas auf sich hält, ja sogar die Berlusconi-Blätter 
              beschäftigen sich nahezu tagtäglich mit dem Patriarch 
              und Playboy, wie Die Welt schrieb, Giovanni Gianni 
              Agnelli. Die meisten kennen ihn. Wenn nicht vom Sehen oder Hören, 
              dann zumindest unbewusst über eine seiner Firmen.  Bis 
              er am Freitag, den 24. Januar 2003, im Alter von 81 Jahren im Kreise 
              seiner Familie starb, war er größter Anteilseigner an 
              der Giovanni Agnelli & C. Sapa. Diese Familien-KG geht auf seinen 
              Großvater selbigen Namens zurück. Die KG, in der die 
              Interessen der mittlerweile auf 120 Personen angewachsene Erbenschar 
              gebündelt sind, besitzt mittlerweile mehr als 500 Unternehmen 
              weltweit. Die bekanntesten sind die Fiat-Gruppe, der Rekordmeister 
              im italienischen Profifußball Juventus Turin und die Tageszeitungen 
              La Stampa und Corriere della Sera. Und 
              genau diese beiden zeichnen sich für einen Trend in der Presse 
              in Italien mitverantwortlich. Im Kampf um neue Leser offerierten 
              sie, ebenso wie das Berlusconi-Blatt La Repubblica, 
              seit Monaten ganze Bücher als Werbebeilagen. Als Giovanni Agnelli, 
              der 30 Jahre den Vorsitz bei Fiat inne hatte und danach noch als 
              Ehrenpräsident tätig war und die Geschicke des Unternehmens 
              aus dem Verborgenen lenkte, kürzlich nach langem Krebsleiden 
              verstarb, widmete ihm La Repubblica fast dreißig 
              Seiten. Ganze Bücher werden folgen, denn niemand, nicht einmal 
              der Papst, sind in Italien bekannter als er. Auch nicht ausgenommen 
              die neben den Papst im Ausland bekanntesten Italiener: die beiden 
              ermordeten Enrico Mattei (vormaliger ENI-Boss) und Aldo Moro (politischer 
              Gegenspieler Andreottis) und ein paar Fußballgrößen 
              á la Dino Zoff. Mit Giovanni Agnelli sei auch der letzte 
              Playboy Europas gestorben, versichern mehrere Boulevardblätter. 
              Die Sicht der Dinge in Italien scheint nicht erst seit Berlusconis 
              Eingriffen in die Justizia verklärt. Zu schnell wird vergessen, 
              dass Agnelli, dessen politisches Spektrum von der Resistenza 
              bis zum völligen Anti-Kommunismus reichte, einst ein streitbarer 
              politischer Akteur gewesen ist. Nicht zuletzt auch wegen seines 
              Senatorenpostens auf Lebenszeit. Es ist schon verwirrend, wenn die 
              führenden Gewerkschaften in Italien, ohnehin die nahezu mächtigsten 
              in Europa, ihn, Giovanni Agnelli, den geborenen Kapitalisten, huldigen 
              und als Vorbild sehen. Hart aber fair sei er gewesen, 
              mit Stil und Anstand. Das scheint ihn von einem Bill 
              Gates zu unterscheiden. Denn ebenso wie bei Microsoft heute, gab 
              es in den sechziger und siebziger Jahren eine Zeit, wo jeder Italiener, 
              ob arm und aus dem Süden oder aus der Umgebung um Turin und 
              dem dortigen Hauptwerk Mirafiori, für Fiat arbeiten wollte. 
              Vergessen die manchmal blutigen Schlachten, die sich Arbeiter und 
              Gewerkschaftler vor den Toren der verschiedenen Fiat-Werke geliefert 
              hatten. Ein Arbeiter sagte unlängst im italienischen Fernsehen: 
              Ich verdanke Fiat alles. Die Firma erlaubte mir eine Familie 
              zu gründen, ein Haus zu kaufen und meine drei Kinder zu erziehen, 
              vor allem aber gab sie mir Sicherheit. Was für ein Mensch 
              war dieser Giovanni Gianni Agnelli?  Giovanni 
              Agnelli wurde am 12. März 1921 in Turin geboren. Sein Vater 
              und seine Mutter starben früh. Giovanni wuchs bei seinem Großvater 
              auf, dem er auch seinen Namen verdankt. Giovanni und seine sechs 
              Geschwister wurden von einer englischen Gouvernante erzogen. Vergiss 
              nicht, dass du ein Agnelli bist, war eines der erzieherischen 
              Leitmotive. Als der Großvater 1945 starb, wurde Giovanni bereits 
              in die Sphären von Fiat eingeführt. Er musste ebenso wie 
              sein designierter Nachfolger und heutiger Enkel John Elkann, das 
              Geschäft von der Pike auf lernen. Doch erst im Alter von 45 
              Jahren erklomm er den Chefsessel bei Fiat. Die Jahre zuvor genoss 
              er das Dolce Vita, ja er bestimmte das Süße 
              Leben Italiens. Die Erziehung der allgemeinen italienischen 
              Oberschicht, die da heißt: eiserne Strenge und grenzenloser 
              Luxus, und die er genossen hatte, war ein guter Grundstock für 
              die ersten Jahre nach dem Krieg. Er wurde allseits bekannt, als 
              der erste internationale Playboy. Überall und nirgends zu Hause. 
              Immer unterwegs. Schnelle Autos, teure Segelyachten. Hin und her, 
              rastlos. Immer auf der Flucht vor dem Stillstand. Bei den Frauen 
              war er beliebt, wie es sich für einen Playboy geziemt. Nur 
              Dienstmädchen verlieben sich, soll er einmal zu seiner 
              Schwester gesagt haben. Zu seinen bekanntesten Eroberungen 
              gehörten Rita Hayworth, Jackie Kennedy Onassis 
              und Churchills Schwiegertochter Pamela.  Auch 
              als er dann 1953 heiratete, eine gewisse Marella Caracciolo, immerhin 
              eine neapolitanische Prinzessin, deren Urahnen einst gegen Lord 
              Nelson gekämpft hatten und über die Truman Capote (Frühstück 
              bei Tiffanys) einmal sagte: Wenn Marella als Juwel in 
              Tiffanys Schaufenster läge, wäre sie sehr, sehr teuer, 
              änderte sich an seinem bisherigen Playboy-Verhalten nicht viel. 
              Ich spreche nicht gern über Frauen, ich spreche gern 
              mit ihnen, ließ er einem Journalisten einmal durchblicken. 
              Er war in den frühen Sechzigern das, was jeder Italiener gern 
              gewesen wäre: ein gutaussehender, intelligenter, reicher Mann. 
              In Giannis Augen muss eine Frau nicht geliebt, sondern erobert 
              werden, sagte seine Ehefrau Marella, die als sehr apart, gut 
              erzogen und gebildet galt und gilt. Obwohl sie unter den Affären 
              ihres Mannes sehr gelitten hat, ließ sie nie ein Wort davon 
              an die Öffentlichkeit durchdringen. Es waren halt andere Zeiten, 
              damals... Giovanni 
              Agnelli, dessen Dolce Vita bis 1966 dauerte, als er 
              den Chefsessel bei Fiat übernahm, war bis dato schon bekannter 
              als der Papst. Er schmückte mit seinem weißen Haar, seinen 
              schmalen Lippen, der römischen Nase und dem braungebrannten 
              Gesicht eines Seemanns die Titelblätter der europäischen 
              Lifestyle-Magazine. Er war bereits zu dieser Zeit eine Ikone. Eine 
              Vorbild für viele, nicht nur Italiener. Er war rasant, charmant, 
              weltgewandt, ja unwiderstehlich. Ein Bild von einem Italiener. Er 
              war der erste, der sowohl Industriekapitän, als auch Sexsymbol 
              war. Ein Großkapitalist genauso, wie Trendsetter. Er trug 
              die Krawatte über dem Pullover und die Armbanduhr über 
              dem Hemdsärmel. Lässigkeit strahlte er aus. Wie ein Filmstar. 
              Omnipräsent und mächtig. Wie sein Familienclan. Intellektuelle, 
              Künstler, Verleger, Modeschöpfer, Adlige. Aber Giovanni 
              stach alle aus. Kunstbesessen und fußballverrückt sorgte 
              er dafür, dass nach der Zeit der Roten Brigaden 
              Generationen von Arbeitern mit der Sehnsucht erfüllt wurden, 
              bei Fiat eine Anstellung zu finden. Nur bei Fiat schienen die Süditaliener 
              genauso wie die Norditaliener Jobs zu finden, die so sicher waren, 
              wie beim Vatikan. Tausende machten sich aus dem Süden auf, 
              um im Norden zu arbeiten, in Schichten versteht sich. Denn damals 
              blühte Fiat auf, als sei der Flair und das Chuzpe des Giovanni 
              Agnelli mit ihm zu Fiat gekommen. Was Fiat nützt, nützt 
              auch Italien. Zur damaligen Zeit traf das vollends zu.  Nun 
              ist er nicht mehr der Strippenzieher bei Fiat. Seine Nachfolge in 
              der Familiengesellschaft soll sein Lieblingsenkel John Philip Elkann 
              übernehmen. Giovanni Agnelli hatte ihn mit 21 Jahren 1997 in 
              den Verwaltungsrat von Fiat bestellt. Der Wirtschaftsingenieur soll 
              den Platz füllen, den Giovanni Agnelli überlassen hat. 
              Vorgesehen dafür war jedoch ein anderer. Giovanni Alberto Agnelli, 
              ein brillanter, mit großen Erwartungen seitens seines Onkels 
              ausgestattet. Er starb an Krebs, mit 33 Jahren. Elkann werden bemerkenswerte 
              Fähigkeiten und moralische Gaben von seinem Onkel zugestanden. 
              Passend zu den familiären Gepflogenheiten studierte Elkann 
              am Turiner Polytechnikum Ingenieurwissenschaften, absolvierte mehrere 
              Praktika im Familienunternehmen: ein Monat in der Scheinwerferherstellung 
              in Birmingham, zwei Monate am Fließband im polnischen Autowerk, 
              zwei Monate im Verkauf im französischen Lille. Zuvor hatte 
              er in Paris ein staatliches Gymnasium besucht. Neun Stunden Mathematik 
              und sechs Stunden Physik standen da auf seinem Lehrplan. Beides 
              hilfreich für die Aufgaben in der kränkelnden Fabbrica 
              Italiana Automobili Torino. Sein Uni-Diplom machte der vier Sprachen 
              sprechende und in Großbritannien, Frankreich und Brasilien 
              aufgewachsene Elkann mit einer Arbeit über Online-Versteigerungen. 
              Seine Eltern indes sind Künstler. Seine Mutter malt und sein 
              Vater schreibt. Mit seinem Onkel verband ihn zudem die Leidenschaft 
              für den Fußball. Er saß oft mit ihm auf der Ehrentribüne 
              des Turiner Alpenstadions, wenn die familieneigene alte Tante 
              Juve spielte. Ebenso schwärmt er für schnelle Autos 
              und für die Formel 1. Seine Passion für Ferrari scheint 
              damit auch aus den Familiengenen des Großvaters zu stammen. 
              Viel Arbeit wird auf ihn bei Fiat zukommen. Zurück 
              zu den anfangs angesprochenen Werbebeilagen der drei großen 
              italienischen Tageszeitungen. Hier schließt sich der Kreis 
              des Giovanni Agnelli, des John Elkann, der Fiat-Arbeiter und der 
              Italiener im allgemeinen. Giovanni Agnelli schenkte als Präsident 
              und Besitzer von Juventus Turin den Fans Brot, Spiele und 
              Träume. Wie einst die Cäsaren Roms. Mit riesigen 
              Spruchbändern verabschiedeten sich die Fans vom bekanntesten 
              Tifoso Italiens. Die nach der Beerdigungszeremonie gezeigten Fotos 
              erinnerten an Bilder und Gemälde von Meistern aus dem 19. Jahrhundert 
              oder an Bestattungen von Angehörigen der Königsfamilien 
              aus dem frühen 20. Jahrhundert. Diese Eleganz, diese 
              Würde, dieses Selbstbewusstsein, dieser Stil, schrieb 
              man im La Stampa nach der Beerdigung, wird nie 
              wiederkommen. Und selbst Berlusconis La Repubblica 
              verabschiedete sich pathetisch vom großen Agnelli: 
              In den entscheidenden Momenten seines Lebens wusste er sich 
              wie ein König zu verhalten - wie ein guter König.  
               Einleitung 
  Fiat 
                vor dem Aus?
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