Die Fiat-Story Teil 2
von Thomas Badtke

Der König ist tot - es lebe der König. So oder ähnlich klingt es in Italiens Gazetten in den letzten Tagen. Jede Tageszeitung, jede Zeitschrift, die etwas auf sich hält, ja sogar die Berlusconi-Blätter beschäftigen sich nahezu tagtäglich mit dem „Patriarch und Playboy“, wie „Die Welt“ schrieb, Giovanni „Gianni“ Agnelli. Die meisten kennen ihn. Wenn nicht vom Sehen oder Hören, dann zumindest unbewusst über eine seiner Firmen.

Bis er am Freitag, den 24. Januar 2003, im Alter von 81 Jahren im Kreise seiner Familie starb, war er größter Anteilseigner an der Giovanni Agnelli & C. Sapa. Diese Familien-KG geht auf seinen Großvater selbigen Namens zurück. Die KG, in der die Interessen der mittlerweile auf 120 Personen angewachsene Erbenschar gebündelt sind, besitzt mittlerweile mehr als 500 Unternehmen weltweit. Die bekanntesten sind die Fiat-Gruppe, der Rekordmeister im italienischen Profifußball Juventus Turin und die Tageszeitungen „La Stampa“ und „Corriere della Sera“.

Und genau diese beiden zeichnen sich für einen Trend in der Presse in Italien mitverantwortlich. Im Kampf um neue Leser offerierten sie, ebenso wie das Berlusconi-Blatt „La Repubblica“, seit Monaten ganze Bücher als Werbebeilagen. Als Giovanni Agnelli, der 30 Jahre den Vorsitz bei Fiat inne hatte und danach noch als Ehrenpräsident tätig war und die Geschicke des Unternehmens aus dem Verborgenen lenkte, kürzlich nach langem Krebsleiden verstarb, widmete ihm „La Repubblica“ fast dreißig Seiten. Ganze Bücher werden folgen, denn niemand, nicht einmal der Papst, sind in Italien bekannter als er. Auch nicht ausgenommen die neben den Papst im Ausland bekanntesten Italiener: die beiden ermordeten Enrico Mattei (vormaliger ENI-Boss) und Aldo Moro (politischer Gegenspieler Andreottis) und ein paar Fußballgrößen á la Dino Zoff. Mit Giovanni Agnelli sei auch der letzte Playboy Europas gestorben, versichern mehrere Boulevardblätter. Die Sicht der Dinge in Italien scheint nicht erst seit Berlusconis Eingriffen in die Justizia verklärt. Zu schnell wird vergessen, dass Agnelli, dessen politisches Spektrum von der „Resistenza“ bis zum völligen Anti-Kommunismus reichte, einst ein streitbarer politischer Akteur gewesen ist. Nicht zuletzt auch wegen seines Senatorenpostens auf Lebenszeit. Es ist schon verwirrend, wenn die führenden Gewerkschaften in Italien, ohnehin die nahezu mächtigsten in Europa, ihn, Giovanni Agnelli, den geborenen Kapitalisten, huldigen und als Vorbild sehen. „Hart aber fair“ sei er gewesen, „mit Stil und Anstand“. Das scheint ihn von einem Bill Gates zu unterscheiden. Denn ebenso wie bei Microsoft heute, gab es in den sechziger und siebziger Jahren eine Zeit, wo jeder Italiener, ob arm und aus dem Süden oder aus der Umgebung um Turin und dem dortigen Hauptwerk Mirafiori, für Fiat arbeiten wollte. Vergessen die manchmal blutigen Schlachten, die sich Arbeiter und Gewerkschaftler vor den Toren der verschiedenen Fiat-Werke geliefert hatten. Ein Arbeiter sagte unlängst im italienischen Fernsehen: „Ich verdanke Fiat alles. Die Firma erlaubte mir eine Familie zu gründen, ein Haus zu kaufen und meine drei Kinder zu erziehen, vor allem aber gab sie mir Sicherheit.“ Was für ein Mensch war dieser Giovanni „Gianni“ Agnelli?

Giovanni Agnelli wurde am 12. März 1921 in Turin geboren. Sein Vater und seine Mutter starben früh. Giovanni wuchs bei seinem Großvater auf, dem er auch seinen Namen verdankt. Giovanni und seine sechs Geschwister wurden von einer englischen Gouvernante erzogen. „Vergiss nicht, dass du ein Agnelli bist“, war eines der erzieherischen Leitmotive. Als der Großvater 1945 starb, wurde Giovanni bereits in die Sphären von Fiat eingeführt. Er musste ebenso wie sein designierter Nachfolger und heutiger Enkel John Elkann, das Geschäft von der Pike auf lernen. Doch erst im Alter von 45 Jahren erklomm er den Chefsessel bei Fiat. Die Jahre zuvor genoss er das „Dolce Vita“, ja er bestimmte das „Süße Leben“ Italiens. Die Erziehung der allgemeinen italienischen Oberschicht, die da heißt: eiserne Strenge und grenzenloser Luxus, und die er genossen hatte, war ein guter Grundstock für die ersten Jahre nach dem Krieg. Er wurde allseits bekannt, als der erste internationale Playboy. Überall und nirgends zu Hause. Immer unterwegs. Schnelle Autos, teure Segelyachten. Hin und her, rastlos. Immer auf der Flucht vor dem Stillstand. Bei den Frauen war er beliebt, wie es sich für einen Playboy geziemt. „Nur Dienstmädchen verlieben sich“, soll er einmal zu seiner Schwester gesagt haben. Zu seinen bekanntesten „Eroberungen“ gehörten Rita Hayworth, Jackie Kennedy „Onassis“ und Churchills Schwiegertochter Pamela.

Auch als er dann 1953 heiratete, eine gewisse Marella Caracciolo, immerhin eine neapolitanische Prinzessin, deren Urahnen einst gegen Lord Nelson gekämpft hatten und über die Truman Capote („Frühstück bei Tiffanys“) einmal sagte: „Wenn Marella als Juwel in Tiffanys Schaufenster läge, wäre sie sehr, sehr teuer“, änderte sich an seinem bisherigen Playboy-Verhalten nicht viel. „Ich spreche nicht gern über Frauen, ich spreche gern mit ihnen“, ließ er einem Journalisten einmal durchblicken. Er war in den frühen Sechzigern das, was jeder Italiener gern gewesen wäre: ein gutaussehender, intelligenter, reicher Mann. „In Giannis Augen muss eine Frau nicht geliebt, sondern erobert werden“, sagte seine Ehefrau Marella, die als sehr apart, gut erzogen und gebildet galt und gilt. Obwohl sie unter den Affären ihres Mannes sehr gelitten hat, ließ sie nie ein Wort davon an die Öffentlichkeit durchdringen. Es waren halt andere Zeiten, damals...

Giovanni Agnelli, dessen „Dolce Vita“ bis 1966 dauerte, als er den Chefsessel bei Fiat übernahm, war bis dato schon bekannter als der Papst. Er schmückte mit seinem weißen Haar, seinen schmalen Lippen, der römischen Nase und dem braungebrannten Gesicht eines Seemanns die Titelblätter der europäischen Lifestyle-Magazine. Er war bereits zu dieser Zeit eine Ikone. Eine Vorbild für viele, nicht nur Italiener. Er war rasant, charmant, weltgewandt, ja unwiderstehlich. Ein Bild von einem Italiener. Er war der erste, der sowohl Industriekapitän, als auch Sexsymbol war. Ein Großkapitalist genauso, wie Trendsetter. Er trug die Krawatte über dem Pullover und die Armbanduhr über dem Hemdsärmel. Lässigkeit strahlte er aus. Wie ein Filmstar. Omnipräsent und mächtig. Wie sein Familienclan. Intellektuelle, Künstler, Verleger, Modeschöpfer, Adlige. Aber Giovanni stach alle aus. Kunstbesessen und fußballverrückt sorgte er dafür, dass nach der Zeit der „Roten Brigaden“ Generationen von Arbeitern mit der Sehnsucht erfüllt wurden, bei Fiat eine Anstellung zu finden. Nur bei Fiat schienen die Süditaliener genauso wie die Norditaliener Jobs zu finden, die so sicher waren, wie beim Vatikan. Tausende machten sich aus dem Süden auf, um im Norden zu arbeiten, in Schichten versteht sich. Denn damals blühte Fiat auf, als sei der Flair und das Chuzpe des Giovanni Agnelli mit ihm zu Fiat gekommen. „Was Fiat nützt, nützt auch Italien“. Zur damaligen Zeit traf das vollends zu.

Nun ist er nicht mehr der Strippenzieher bei Fiat. Seine Nachfolge in der Familiengesellschaft soll sein Lieblingsenkel John Philip Elkann übernehmen. Giovanni Agnelli hatte ihn mit 21 Jahren 1997 in den Verwaltungsrat von Fiat bestellt. Der Wirtschaftsingenieur soll den Platz füllen, den Giovanni Agnelli überlassen hat. Vorgesehen dafür war jedoch ein anderer. Giovanni Alberto Agnelli, ein brillanter, mit großen Erwartungen seitens seines Onkels ausgestattet. Er starb an Krebs, mit 33 Jahren. Elkann werden bemerkenswerte Fähigkeiten und moralische Gaben von seinem Onkel zugestanden. Passend zu den familiären Gepflogenheiten studierte Elkann am Turiner Polytechnikum Ingenieurwissenschaften, absolvierte mehrere Praktika im Familienunternehmen: ein Monat in der Scheinwerferherstellung in Birmingham, zwei Monate am Fließband im polnischen Autowerk, zwei Monate im Verkauf im französischen Lille. Zuvor hatte er in Paris ein staatliches Gymnasium besucht. Neun Stunden Mathematik und sechs Stunden Physik standen da auf seinem Lehrplan. Beides hilfreich für die Aufgaben in der kränkelnden Fabbrica Italiana Automobili Torino. Sein Uni-Diplom machte der vier Sprachen sprechende und in Großbritannien, Frankreich und Brasilien aufgewachsene Elkann mit einer Arbeit über Online-Versteigerungen. Seine Eltern indes sind Künstler. Seine Mutter malt und sein Vater schreibt. Mit seinem Onkel verband ihn zudem die Leidenschaft für den Fußball. Er saß oft mit ihm auf der Ehrentribüne des Turiner Alpenstadions, wenn die familieneigene „alte Tante Juve“ spielte. Ebenso schwärmt er für schnelle Autos und für die Formel 1. Seine Passion für Ferrari scheint damit auch aus den Familiengenen des Großvaters zu stammen. Viel Arbeit wird auf ihn bei Fiat zukommen.

Zurück zu den anfangs angesprochenen Werbebeilagen der drei großen italienischen Tageszeitungen. Hier schließt sich der Kreis des Giovanni Agnelli, des John Elkann, der Fiat-Arbeiter und der Italiener im allgemeinen. Giovanni Agnelli schenkte als Präsident und Besitzer von Juventus Turin den Fans „Brot, Spiele und Träume“. Wie einst die Cäsaren Roms. Mit riesigen Spruchbändern verabschiedeten sich die Fans vom bekanntesten Tifoso Italiens. Die nach der Beerdigungszeremonie gezeigten Fotos erinnerten an Bilder und Gemälde von Meistern aus dem 19. Jahrhundert oder an Bestattungen von Angehörigen der Königsfamilien aus dem frühen 20. Jahrhundert. „Diese Eleganz, diese Würde, dieses Selbstbewusstsein, dieser Stil“, schrieb man im „La Stampa“ nach der Beerdigung, „wird nie wiederkommen“. Und selbst Berlusconis „La Repubblica“ verabschiedete sich pathetisch vom „großen“ Agnelli: „In den entscheidenden Momenten seines Lebens wusste er sich wie ein König zu verhalten - wie ein guter König“.

Einleitung
Fiat vor dem Aus?

zurück